Systemfrage: Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran

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Kontrolle – Bildquelle: Pixabay / geralt; Pixabay License

Der unterschwellige, angebliche Nutzen einer Anwendungen, eines Gerätes oder eines Prozesses lässt viele Menschen (eventuell) parallel einhergehende Gefahren vollkommen ignorieren oder vergessen. Das beste Beispiel hierfür ist das Smartphone, das für die meisten Menschen nicht einmal mehr im Ansatz „wegdenkbar“ ist. Das Marketing für solche Anwendungen, Geräte und Prozesse ist immer positiv dargestellt und besetzt… Alles ist einfacher, schneller, innovativer und modern.

Nachfolgende vier aktuelle Beispiele (ich hätte noch viel mehr aufführen können), die genau diesen „Schulterschluss“ zwischen positiven Marketing und fehlender kritischer Einschätzung belegen. Auch im Falle der vier Themen ist alles super, toll – und ohne Gefahren für die Privatsphäre, ohne kritische Betrachtung bzgl. überbordender Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle sowie am langen Ende der Ausschluss von (kritischen) Menschen aus der Gesellschaft bzw. der Habhaftmachung durch das System selbst.

Äthopien: ePassport und digitale ID

Die äthiopische Behörde für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (Immigration and Citizenship Services, ICS) hat eine Vereinbarung mit Toppan Gravity Ethiopia, einem Zusammenschluss der Ethiopian Investment Holdings (EIH) und der japanischen Druckerei für ID-Dokumente Toppan, unterzeichnet, um den „sicheren Druck von Dokumenten“ im Lande einzuführen.

Ethiopian Monitor berichtet über Kommentare der EIH, die besagen, dass das erwartete Ergebnis der Vereinbarung ein neuer äthiopischer ePass mit „fortschrittlichen Sicherheitsmerkmalen und verbesserter Effizienz (advanced security features and improved efficiency)“ ist, was „einen bemerkenswerten Sprung nach vorne bei der Modernisierung des äthiopischen Passsystems (signifies a remarkable leap forward in the modernization of Ethiopia’s passport system) bedeutet“.

„Mit der Druckerei im Bole-Lemi-Industriepark werden die Voraussetzungen für transformative Auswirkungen auf Reisen und Sicherheit geschaffen (With the printing plant in Bole-Lemi industrial park, it sets the stage for transformative impacts on travel and security)“, so deren Einschätzung.

Äthiopiens Bestreben nach einer zentralisierten digitalen Identifizierung durch das Fayda National ID Program (NIPD) wird kurz vor dem von Äthopien gesetzten Jahresmeilenstein 2025 ebenfalls beschleunigt. Laut Africa Intelligence steht eine Direktive, die rund hundert lokalen Unternehmen eine Lizenz erteilt, um die lokale Produktion und Verteilung neuer biometrischer Karten zu beschleunigen, kurz vor der Genehmigung.

Das NIPD sammelt biometrische Daten von Bürgern und verwendet diese, um eine eindeutige Identifikationsnummer zu generieren, mit der sie ihre Identität entweder mit einem Fayda-Ausweis oder einem Mobiltelefon nachweisen können. Bis zu diesem Monat haben sich 3,5 Millionen Bürger registriert – eine bis dato langsame Entwicklung, wenn die Regierung ihr Ziel von 90 Millionen registrierten Personen bis 2025 erreichen will.

Das NIPD plant, einen Teil der erheblichen Kosten des Projekts auf die Bürger abzuwälzen, indem es lizenzierten Herstellern biometrischer Karten erlaubt, eine von den Behörden vorab genehmigte Gebühr zu erheben. Derzeit wartet das Programm auf die Lieferung von einer Million personalisierter Karten durch das indische Unternehmen Madras Security Printers, das im August eine Ausschreibung gewonnen hat.

Im Rahmen der aktuellen Pressearbeit hat das NIDP eine neue Ausschreibung für ein Marketingunternehmen veröffentlicht, das die Kommunikationsstrategie steuern und die beschleunigte Einführung der digitalen Identität in der Bevölkerung unterstützen soll. Die Gebote sind bis zum 18. Dezember einzureichen.

Das ausgewählte Unternehmen wird eine Menge Arbeit vor sich haben. Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes, der Sicherheit und der Verwendung personenbezogener Daten bestehen nach wie vor, insbesondere nach dem bewaffneten ethnischen Konflikt in der Region Tigray. Die Regierung sagt jedoch, dass keine Informationen über die ethnische Zugehörigkeit verwendet werden, und verspricht, die Speicherinfrastruktur durch mehr Partnerschaften zu stärken. Zu den Partnerschaften im Bereich der ID-Infrastruktur gehören eine kürzlich erfolgte Ausschreibung der Äthiopischen Bankenvereinigung für einen Vertrag über die Lieferung von 6.000 Kits zur Erfassung biometrischer Daten an die Banken des Landes sowie eine Vereinbarung mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM), die darauf abzielt, Flüchtlinge und Vertriebene mit einer eindeutigen ID-Nummer auszustatten.

Ghana: Digitale Version der Ghana Card

Die Hersteller von Ghanas nationalem Personalausweis, der so genannten Ghana Card, haben angekündigt, dass im nächsten Jahr eine ergänzende digitale Version des Ausweises auf den Markt kommen wird.

Der Vorstandsvorsitzende der Margins ID Group, Moses Baiden, sagte kürzlich in einem Interview mit der Tech-Publikation TechFocus24, dass die digitale Version alle Merkmale und Funktionen der physischen Karte haben wird und dass die Daten der Nutzer über eine mobile Anwendung in einem Chip enthalten sein werden, der in ihre Geräte integriert ist.

Der digitale Ausweis auf einer App wird ebenfalls von der Margins ID Group hergestellt, die derzeit NFC-Lesegeräte anbietet, um alle Ghana Cards online oder offline zu lesen.

Dies, so Baiden, wird die Identitätsüberprüfung und -authentifizierung ermöglichen und sogar erleichtern, wenn ein Ghana Card-Besitzer seine physische Karte nicht bei sich hat, weil er sie entweder vergessen hat oder weil sie verloren oder beschädigt ist.

Laut Baiden wird die digitale Version der Ghana Card die physische Karte nicht ersetzen, da er glaubt, dass Ghana als Entwicklungsland noch nicht über die nötige Infrastruktur verfügt, um die digitale Identität überall im Land zu überprüfen.

Der Beamte meinte, da die Verbreitung von Mobiltelefonen in Ghana stetig zunehme, „kann die digitale ID eine gute Ergänzung zur physischen Ghana Card sein, aber wir sind noch nicht so weit, dass wir die physische Karte abschaffen und vollständig digitalisieren können (the digital ID can be a good addition to the physical Ghana Card but we are not yet at the stage where we can discard the physical card and go completely digital)“.

Baiden wies auch darauf hin, dass eine weitere wichtige digitale Funktion (eine Anwendung für digitale Zahlungen), die derzeit in der physischen Version der Ghana Card schlummert, im nächsten Jahr ebenfalls aktiviert werden soll. Er sagte, die Funktion sei eine von etwa 18 anderen auf der ID-Karte, die noch nicht aktiviert worden seien, weil der erforderliche Rechtsrahmen noch fehle.

Der Beamte der Margins ID Group erinnerte sich auch an die Zeit, als die ghanaische Regierung riesige Summen an einen ausländischen Auftragnehmer ausgab, um ein nationales ID-Kartensystem zu liefern, „das nicht funktionierte (that does not work)“, und wies darauf hin, dass ein ID-System nur dann erfolgreich sein kann, wenn der ID-Anbieter über Finanzierungsquellen verfügt. Die pakistanische NADRA, die nigerianische NIMC und die indische UIDAI haben einige Lektionen über die nachhaltige Finanzierung von digitalen ID-Systemen gelernt.

Baiden teilte mit, dass Margins ID seit über zehn Jahren die Produktion von Personalausweisen in Ghana vorfinanziert hat, obwohl es auch Berichte über unbezahlte Schulden gab. Mit der Ghana Card habe der Staat Ghana etwa 1,5 Milliarden Dollar gespart, Geld, das die staatlichen Institutionen für die Datenerfassung verwendet hätten, um den Zugang zu staatlichen Dienstleistungen zu ermöglichen.

Er ist der Ansicht, dass die Ghana Card das Potenzial hat, einen enormen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Ghanas zu leisten, indem sie den Zugang zu einer breiten Palette von Dienstleistungen erleichtert, da die Anwendungsmöglichkeiten des Ausweises ständig wachsen. Kürzlich erklärte der ghanaische Vizepräsident Mahamudu Bawumia, dass es Pläne gebe, ein Autokreditprogramm auf der Ghana Card zu verankern.

USA: Eintritt per Gesichtserkennung bei den Carolina Panthers

Zwei neue biometrische Anwendungen in professionellen Sportstätten sowie eine neue Plattform für die Bereitstellung von Treueprogrammen und maßgeschneiderten Angeboten wurden jüngst in den USA bekannt gegeben.

Die Carolina Panthers sind der jüngste Profi-Sportverein, der Biometrie für seine Fans einsetzt. Verizon kündigte an, die Wicket-Gesichtserkennungssoftware im Bank of America Stadium für die Zugangskontrolle und den ticketlosen Zugang einzusetzen.

Queen City News berichtet, dass die Option des ticketlosen Express-Eintritts, die an den Eingängen zu den Premium-Sitzbereichen North Silver Club und South Silver Club verfügbar ist, die Authentifizierung des Gesichts nutzt, um einen Scan mit einem registrierten Bild abzugleichen, das mit dem Ticketmaster-Konto des Fans verknüpft ist. Am Einlass ist weder ein Ticket noch ein Telefon erforderlich.

In Phase I des Dienstes wird der biometrische Zugang für Club-Dauerkartenmitglieder verfügbar sein, wobei eine Einführung für alle Dauerkarteninhaber geplant ist.

Verizon hat Wicket bereits in den NFL-Stadien in Cleveland, Atlanta und Nashville eingeführt. Das System ist aktuell noch freiwillig (Opt-in) und läuft auf dem 5G-Netzwerk von Verizon. Das Unternehmen hat außerdem ein Virtuelles Privates Netzwerk (VPN) für die gesicherte Trainer-zu-Trainer-Kommunikation in 29 NFL-Stadien eingeführt.

Wicket hat sich mit der Echtzeit-KI-Datenplattform Lava zusammengeschlossen, um die Möglichkeiten der Fans durch Gesichtsauthentifizierung zu erweitern. In einer Pressemitteilung heißt es, dass die beiden Unternehmen hoffen, eine optimierte, berührungslose Fanreise zu schaffen, „vom Drehkreuz bis zum Verpflegungsstand (from the turnstile to the concession stand)“. Nach der Authentifizierung der Identität können die Touchpoints rund um den Veranstaltungsort den Algorithmus von Lava nutzen, um Loyalitätsvorteile und maßgeschneiderte Erlebnisse zu bieten, wie z. B. bargeldlose und Selbstbedienungsexpresslinien, die bereits im Cleveland Browns Stadium getestet wurden.

„Dieses innovative Konzessionserlebnis hat zu außergewöhnlich schnellen Servicezeiten und einem verbesserten Erlebnis geführt, das unsere Fans gerne nutzen, um die Warteschlangen zu umgehen und zurück zu ihren Sitzen zu gelangen, damit sie das Spiel genießen können (This innovative concession experience has resulted in exceptionally fast service times and an elevated experience that our fans enjoy using to bypass lines and get back to their seats so they can enjoy the game)“, sagt Brandon Covert, Vizepräsident für Informationstechnologie bei den Cleveland Browns. Wen Miao, Chief Executive Officer von Lava, sagte zudem, dass die Kombination der biometrischen Identifikation von Wicket und der Echtzeit-Personalisierung von Lava Möglichkeiten eröffnet, die den Spieltag auf eine neue Ebene heben könnten:

Das richtige Angebot für den richtigen Kunden zum richtigen Zeitpunkt erhöht das Engagement, vertieft die Markentreue und steigert die Ausgaben. Wir sehen ein enormes Potenzial für diese Mischung aus sofortiger biometrischer Identifizierung und Personalisierung in Echtzeit.

(Serving up the right offer, to the right customer, at the right moment increases engagement, deepens brand loyalty, and boosts spend. We see enormous potential for this blend of instant biometrics identification and real-time personalization.)

Niederlande: Bezahlen mit der Handfläche

In einer Bar im Bosuil-Stadion des Fußballclubs Antwerpen in den Niederlanden hat Palmki eine Testreihe durchgeführt, bei der biometrische Daten der Handfläche mit Bankdaten verknüpft und zum Bezahlen eines Getränks verwendet wurden. In einer Mitteilung von POM, dem niederländischen Fintech-Unternehmen, das mit Palmki eine Partnerschaft eingegangen ist, heißt es, das System funktioniere über einen Infrarotscan von 5 Millionen Referenzpunkten im Muster der Blut- und Nervenbahnen in der Hand, die mit einer bei der Anmeldung registrierten Bankkarte verbunden sind.

„Palmki hat bereits im Oktober dieses Jahres einen erfolgreichen Test mit Handzahlungen mit aufladbaren Zahlungskarten beim Basketballverein Leuven Bears durchgeführt (Palmki already carried out a successful test with palm payments with rechargeable payment cards at the Leuven Bears basketball club in October this year)“, sagt Marc Strackx, Vorstandsvorsitzender von Perfect-ID, dem Eigentümer von Palmki. „Wir gehen jetzt den nächsten Schritt und integrieren die Zahlungsplattform von POM. Handflächen-Scans können auch mit regulären Debit- und Kreditkarten wie Bancontact, Visa und Mastercard verknüpft werden. (We are now taking the next step by integrating with POM’s payment platform. Palm scans can also be linked to regular debit and credit cards such as Bancontact, Visa and Mastercard.)“

Palmki und POM geben an, dass die Falschakzeptanzrate (FAR) des Systems unter 0,000001 Prozent liegt, bei einer Falschrückweisungsrate (FRR) von 1 Prozent, und dass der Zahlungsprozess von der Nationalbank überwacht und vollständig geprüft wird. „Die Verknüpfung einer Bankkarte mit einer Handfläche ist vergleichbar mit der Erlaubnis, Abonnements wie Netflix oder Spotify automatisch über eine Kreditkarte einzuziehen (Linking a bank card to a palm can be compared to permission to automatically collect subscriptions such as Netflix or Spotify via a credit card)“, sagt Tom Totté, Mitbegründer von POM.

Quellen:
Artikelthema Äthopien:
ICS, Toppan Reach Deal on New Ethiopian e-Passport
World Bank document reveals $350M in donor funding for Ethiopia’s national digital ID
Ethiopia’s National ID Program scrambles to make up for lost time
Ethiopia shops for PR firm to popularize Fayda digital ID, speed adoption
‘People are under siege’: why Ethiopia’s war in Tigray isn’t over
Artikelthema Ghana:
Webseite – Margin ID Group
Ghana Card to go Digital next year
India, Nigeria, Pakistan discuss sustainable financing for digital ID schemes with ID4Africa
Ghana’s identity authority claims $80M debt from government over ID card production
Ghana negotiating to make credit for car loans available through digital ID card
Artikelthema USA:
Verizon, Panthers unveiling facial recognition new ticket entry at Bank of America Stadium
NFL tackles access security with staff face biometrics pilot
NFL’s Tennessee Titans and Verizon to use face biometrics for fan access control
Webseite – Lava
Wicket’s biometric ticketing gives Cleveland Browns fans some relief
Artikelthema Niederlande:
Explainer: Vascular Pattern Recognition
European Commission awards Leuven title of European Capital of Innovation
Palmki scores again with biometric payments for Belgian pro sports club

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