Kategorien: PolitikWeltgeschehen

Bundeswehr: Vom Parlamentsvorbehalt und der EU-Solidaritätsklausel

Im Koalitionsvertrag zwischen der CDU, CSU und SPD steht auf Seite 123f. unter dem verallgemeinernden Schlagwort Verantwortung für die Welt folgender Passus zum sogenannten Parlamentsvorbehalt für Einsätze der Bundeswehr, der regelt, dass nur das Parlament nach dem Prinzip der Parlamentsarmee final entscheiden darf, ob ein Einsatz von Streitkräften erfolgt oder ob eine Kriegserklärung abgegeben wird:

Die Bundeswehr bleibt auch in Zukunft Parlamentsarmee. Die parlamentarische Beteiligung an der Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr hat sich bewährt. Sie ist eine Grundlage für die breite Verankerung der Bundeswehr und ihrer Einsätze in der Gesellschaft.
Der Parlamentsvorbehalt ist keine Schwäche Deutschlands, sondern eine Stärke. Wir wollen die Beteiligung des Parlaments an der Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten auch angesichts vermehrter Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit unseren Partnern sicherstellen. Eine zunehmende Mitwirkung deutscher Soldatinnen und Soldaten in integrierten Strukturen und Stäben auf NATO– und EU-Ebene muss mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sein. Deshalb wollen wir eine Kommission einsetzen, die binnen Jahresfrist prüft, wie auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration und trotz Auffächerung von Aufgaben die Parlamentsrechte gesichert werden können. Die Kommission wird darauf aufbauend Handlungsoptionen formulieren.

Dieser Parlamentsvorbehalt ist somit einer der wichtigsten Anker der deutschen Entscheidungsstruktur für den Einsatz der Bundeswehr und soll gewährleisten,

dass alle Entscheidungen, die von substanziellem Gewicht für das Gemeinwesen sind, eine direkte parlamentarische Zustimmung brauchen und nicht der Entscheidungsmacht anderer Organe der Staatsgewalt anvertraut werden dürfen.

Mit der geplanten Anschaffung von bewaffneten Drohnen ist dieser wichtige Vorbehalt in großer Gefahr, denn theoretisch müsste jeder Einsatz dieser Drohnen durch das Parlament aufgrund des Vorbehalts abgesegnet werden. Was rein praktisch aber nicht umsetzbar ist, so dass wohl eine Sonderregelung gefunden wird, die es ermöglicht, dass eine einmalig abgegebene Legitimation durch den Bundestag jeden späteren Einsatz von Mörderdrohnen legitimiert. Damit wird dem Parlamentsvorbehalt für den Einsatz der Bundeswehr ein schwerer Schlag versetzt. Denn es ist anzunehmen, dass aufgrund der kruden Logik unserer Politdarsteller eine einmalig abgegebene, allgemeine Zustimmung zu Drohneneinsätzen, später auch auch auf „normale Einsätze“ der Bundeswehr angewandt werden wird.

Schon Willy Wimmer, CDU-Urgestein warnte 2013 vor dem Versuch den parlamentarischen Vorbehalt einzukassieren. In einem Compact-Artikel schreibt er:

Der letzte Geniestreich war die Abschaffung der Wehrpflicht, deren Kernsubstanz für den Deutschen Bundestag stets darin bestand, die Töchter und Söhne dieses Landes nicht den Gefahren ausgesetzt zu sehen, die ihren Vätern und Großvätern letztlich das Ansehen gekostet hatte. Jetzt wird im Interesse Dritter wieder das Messer angesetzt, um die letzten Reste der in der NATO und vor allem in Washington ungeliebten Mitsprache des Deutschen Bundestages zugunsten der NATO-Automatik auf angelsächsischen Knopfdruck zu beseitigen. Es soll nicht mehr vorkommen, dass deutsche Einsatzbedenken dazu beitragen, AWACS-gestützte fliegende Gefechtsstände am Boden zu halten oder damit zu drohen, deutsches Personal nicht an Stäben beteiligt zu sehen, die sich um das Völkerrecht bei möglichen Einsätzen nicht scheren.

Wird dem Bundestag nun – versteckt durch die Hintertür Drohnenkauf bzw.- einsatz – das wichtigste Steuerungsinstrument für einen Bundeswehreinsatz genommen?

Europäische Union - Bildquelle: Wikipedia / Hayden120 and NuclearVacuumEuropäische Union - Bildquelle: Wikipedia / Hayden120 and NuclearVacuum

Europäische Union – Bildquelle: Wikipedia / Hayden120 and NuclearVacuum

Gleichzeitig wurde vor wenigen Tagen der Artikel 222 AEUV von der EU verabschiedet. Dieser Artikel besagt:

(1) Die Union und ihre Mitgliedstaaten handeln gemeinsam im Geiste der Solidarität, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom
Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist. Die Union mobilisiert alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel, um
a) – terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden;
– die demokratischen Institutionen und die Zivilbevölkerung vor etwaigen Terroranschlägen zu schützen;
– im Falle eines Terroranschlags einen Mitgliedstaat auf Ersuchen seiner politischen Organe innerhalb seines Hoheitsgebiets zu unterstützen;
b) im Falle einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe einen Mitgliedstaat auf Ersuchen seiner politischen Organe innerhalb seines Hoheitsgebiets zu unterstützen.

(2) Ist ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen, so leisten die anderen Mitgliedstaaten ihm auf Ersuchen seiner politischen Organe Unterstützung. Zu diesem Zweck sprechen die Mitgliedstaaten sich im Rat ab.

(3) Die Einzelheiten für die Anwendung dieser Solidaritätsklausel durch die Union werden durch einen Beschluss festgelegt, den der Rat aufgrund eines gemeinsamen Vorschlags der Kommission und des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik erlässt.
Hat dieser Beschluss Auswirkungen im Bereich der Verteidigung, so beschließt der Rat nach Artikel 31 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union. Das Europäische Parlament wird darüber unterrichtet.

Für die Zwecke dieses Absatzes unterstützen den Rat unbeschadet des Artikels 240 das Politische und Sicherheitspolitische Komitee, das sich hierbei auf die im Rahmen der
Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickelten Strukturen stützt, sowie derAusschuss nach Artikel 71, die dem Rat gegebenenfalls gemeinsame  Stellungnahmen vorlegen.

(4) Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten auf effiziente Weise tätig werden können, nimmt der Europäische Rat regelmäßig eine Einschätzung der Bedrohungen vor, denen die Union ausgesetzt ist.

Dieser als Solidaritätsklausel bezeichnet Artikel des Vertrags von Lissabon bzw. des Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union wurde bewusst durch die ReGIERungen bei der damaligen Vertragsunterzeichnung in Lissabon in die Zukunft verschoben, da er enorme Sprengkraft besitzt. Und auch diesesmal tauchte er als Tagesordnungspunkt am Tag der Verabschiedung nicht auf, sondern wurde versteckt behandelt. Bereits diese beiden Tatsachen verdeutlichen die Bedeutung und auch die Schwere, die in diesem Artikel 222 stecken.

Neben einer Aufwertung der geheimdienstlichen Strukturen in der EU wird auch eine rechtliche Grundlage für den Einsatz polizeilicher Spezialkräfte, dem sogenannten Alpha-Netzwerk, das sich bereits seit mehreren Jahren im Aufbau durch die EU-Kommission befindet, geschaffen. Mit Artikel 222 wird dem innenpolitischen Bündnisfall Tür und Tor geöffnet, da insbesondere nicht festgelegt wurde, ab wann eine solche Bedrohung vorliegt bzw. in welchem Stadium einer Bedrohung die Solidaritätsklausel greifen soll. Fallen bereits Massenstreiks oder politisch motivierte Massenansammlungen darunter? Und was versteht die EU unter dem schwammigen Begriff „vom Menschen verursachte Katastrophen“, die ebenfalls als Bedrohung im Artikel genannt sind?

Sowohl der Parlamentsvorbehalt als auch die Solidaritätsklausel dürfen meiner Meinung nach nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Die stetig zunehmende Vermischung von innerer und äußerer Sicherheit, der neue Artikel 222 AEUV und eine zu erwartende Abschaffung des Vorbehalts, machen es möglich, dass Polizei- und Militäreinheiten anderer EU-Staaten in Deutschland und vice versa eingesetzt werden können.

Damit umgeht man die „Gefahr“, dass deutsche Polizisten vielleicht bei einem innerdeutschen Einsatz nicht gegen Deutsche vorgehen und dass französische Polizisten oder Soldaten nicht gegen ihre eigenen Landsleute den Schlagstock einsetzen wollen. Stattdessen sendet man ausländische Einheiten in die kriselnden Länder und lässt die Bevölkerung durch fremde Einsatzkräfte niederknüppeln. Und das ganze natürlich rechtlich einwandfrei durch Artikel 222 AEUV abgesichert.

Es stellt sich unweigerlich die Frage, wie sehr die EUkraten und die Politdarsteller aller unterzeichnenden EU-Staaten Angst vor der eigenen Bevölkerung haben, wenn man solche Entscheidungen trifft und unterzeichnet. Gerade weil man durch die unscharf definierten Krisensituationen, in denen die Solidaritätsklausel zur Geltung kommt, gezielt ein Modell „EU-Bündnisfall“ kreiert hat.

Aber was reg ich mich auf, Deutschland ist im Halbfinale und alles andere interessiert eh nicht. Oder?

Quellen:
Wikipedia – Parlamentsvorbehalt
Deutschland gestalten – Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD
Parlamentsvorbehalt „ist ein taktischer Trick“
Deutsche Kriegseinsätze sollen einfacher werden
Solidaritätsklausel – Artikel 222 AEUV
Der Bündnisfall im Innern ist vorbereitet
EU bereitet sich auf den Bündnisfall vor

Beitrag teilen:

Ein Artikel bildet zwangsweise die Meinung eines Einzelnen ab. In Zeiten der Propaganda und Gegenpropaganda ist es daher umso wichtiger sich mit allen Informationen kritisch auseinander zu setzen. Dies gilt auch für die hier aufbereiteten Artikel, die nach besten Wissen und Gewissen verfasst sind. Um die Nachvollziehbarkeit der Informationen zu gewährleisten, werden alle Quellen, die in den Artikeln verwendet werden, am Ende aufgeführt. Es ist jeder eingeladen diese zu besuchen und sich ein eigenes Bild mit anderen Schlussfolgerungen zu machen.
www.konjunktion.info unterstützen: