Systemfrage: Warum der Kollaps unausweichlich ist

Es wäre ein Trost für unsere schwachen Seelen und unsere Werke, wenn alle Dinge so langsam vergehen würden, wie sie entstehen; aber wie dem so ist,das Wachstum schreitet langsam voran, während der Weg zum Ruin schnell verläuft.

Der römische Philosoph, Dramatiker, Naturforscher und Staatsmann Lucius Annaeus Seneca schrieb im 91. Brief an seinen Freund Lucilius obiges Zitat. Abgeleitet daraus könnte man das Scheitern von Systemen, die auf unendlichem Wachstum beruhen, die aber aufgrund z.B. natürlicher, endlicher Ressourcen doch an eine Endlichkeit gelangen, als Seneca-Systeme bezeichnen. Seneca-Systeme deswegen, da ein stetiges, zuletzt aber steil zunehmendes Wachstum diese Systeme auszeichnet. Ein System, das zu einem bestimmten Zeitpunkt an einen Scheitelpunkt angelangt, an dem es kippen muss. Und analog Seneca erfolgt dann ein Abstieg in einer wesentlich kürzeren Zeitspanne als der zuvor erfolgte Anstieg.

Doch warum dieser Einstieg für diesen Artikel? Der oben erwähnte Scheitelpunkt wird von manchen auch als Seneca-Kliff oder Seneca-Effekt bezeichnet und ich frage mich angesichts von Fiat Money-Druckexzessen, Peak-Oil, einbrechenden Wirtschaftszahlen usw., ob wir uns nicht gerade am Ende des Aufstiegs und im Übergang zum Scheitelpunkt befinden.

Jeder halbswegs sich mathematisch auf Höhe befindliche Mitmensch weiß, dass ein exponenzielles System, wie das unsrige, irgendwann nicht mehr finanziert werden und wachsen kann.

Wer hoch steigt, fällt tief

Alle Symptome für einen steilen Niedergang, besser Kollaps, sind gegeben und nachfolgend sollen einige Pukte aufbereitet werden, die zeigen, dass der Seneca-Effekt kein Hirngespinst ist, sondern ein nachvollziehbarer Gedanke.

Wachstums- und Abstiegsmodelle

Das bekannteste Modell von Wachstum und Abstieg dürfte das Modell von Marion King Hubbert sein, dass sich 1956 mit dem Erdöl-Fördermaxium in den USA beschäftigt:

Hubbert Modell - Bildquelle: Screenshot-Ausschnitt www.hubbertpeak.comHubbert Modell - Bildquelle: Screenshot-Ausschnitt www.hubbertpeak.com

Hubbert Modell – Bildquelle: Screenshot-Ausschnitt www.hubbertpeak.com

Das von Hubbert prognostizierte US-Peak-Oil trat 1970, genau wie berechnet, ein. 2007 erweiterte Adam Brandt Hubberts Modell um andere Ressourcen und langsam nachwachsende Rohstoffe. Die dem Model zugrunde liegende Idee besagt, dass zu Beginn die Ausbeutung von leicht zugänglichen, ertragsstarken Ressourcen erfolgt. Erst peu à peu werden die Firmen gezwungen auch Ressourcen anzugehen, deren Ausbeutung schwieriger, und unter höherem Kapitaleinsatz erfolgt. Dadurch schwinden die Gewinne der Unternehmen, was wiederum weitere, neue Investitionen erschwert. Das Wachstum verlangsamt sich und wird ggf. sogar negativ. Zwar kann das Modell von Hubbert als allgemeines Modell viele Dinge erklären, jedoch fehlt der Seneca-Effekt, da der Abstieg annähernd dem Wachstum mit umgekehrtem Vorzeichen entspricht:

…. there is simply no evidence in the historical data that rates of decline will be generally sharper than rates of increase. This should be taken as comforting news for those concerned about a quick decline in production causing additional disruption beyond that already anticipated for the transition from conventional oil to substitutes for conventional oil.
(…es gibt einfach keine Beweise in den historischen Daten, dass die Raten des Niedergangs in der Regel steiler sein werden als die Steigerungsraten. Dies sollte eine tröstliche Nachricht für diejenigen sein, die einen schnellen Rückgang der Produktion befürchten, der darüber hinaus zusätzliche Störungen beim Übergang von konventionellen Öl zu Ersatzstoffen für konventionelle Öl verursacht.)

Doch halt, ist es wirklich so? Brandt geht in seinen Annahmen davon aus, dass dies für alle Regionen weltweit gilt, da ein Unternehmen beispielsweise höhere Kosten dadurch entgeht, dass dieses Unternehmen seinen Standort wechselt und in billigere Regionen wandert (vgl. Globalisierung). Aber was passiert, wenn man alle nachfolgend billigeren Länder bereits durchlaufen hat? Wenn es keine weiteren Länder und Regionen mehr gibt? Eigentlich genau das, was wir heute sehen, wo selbst chinesische Firmen die letzten Billigstlohnländer wie Vietnam oder Nordkorea einnehmen.

Mind Sized World Modelling

Seymour Papert führte 1980 den Begriff „mind sized“ ein. Die dahinterstehende Idee besagt, dass, um davon überzeugt zu sein, dass ein bestimmtes Phänomen real ist oder dass es wirklich real passiert ist, man verstehen muss, was es real werden ließ. Ausgehend davon muss ein Modell so einfach sein, dass man es auch begreifen kann. Beispielsweise führte das 1972er Modell des Club of Rome genau aufgrund seiner zu hohen Komplexität zu großen Irritationen.

Wenn wir ein Wirtschaftssystem, das nicht erneuerbare Ressourcen ausbeutet, hernehmen, können wir das Mind Sized Modell gut erklären. In diesem System verfügen wir über Ressourcen, wie Erdöl – sprich Energie -, die wiederum Ausgangs- und Startpunkt (im Sinne von Produktion von Gütern, die erdölgetrieben ist) für viele weitere andere Dinge sind. Zudem haben wir Kapital, das nutzbare Energie darstellen soll. Beide Einheiten stehen im Austausch zueinander. Nach dem Gesetz der Thermodynamik (Energieerhaltung) geht dabei keine, für den Menschen nutzbare Energie verloren.

Miniworld 1 – Bildquelle: cassandralegacy.blogspot.de

Doch dabei vernachlässigen wir, dass Produktion immer auch „Verschmutzungseffekte“ mit sich bringt und dieser Effekt wiederum Kosten. Bringen wir diesen „Verschmutzungseffekt“ in unser Modell mit ein, fließt Energie von der Kapitalseite zum „Verschmutzungseffekt“. Aufgrund des Verlusts an Energie, die damit nicht mehr nutzbar für den Menschen ist, sehen wir im Modell dann doch den oben genannten Seneca-Effekt.

Miniworld 2 – Bildquelle: cassandralegacy.blogspot.de

Produktion – Bildquelle: cassandralegacy.blogspot.de

Können wir, abgeleitet aus dem Modell, genau sagen, was das Seneca-Kliff auslöst?

Ja, können wir. Zunächst nehmen wir an, dass der „Verschmutzungseffekt“ das wirtschaftliche Kapital angreift. Zweitens nehmen wir an, dass der „Verschmutzungseffekt“ anwächst, wenn das Kapital zunimmt. Das bedeutet, dass der „Verschmutzungseffekt“ immer nur im Nachgang zum Kapitalzuwachs größer werden kann. Diese Verzögerung ist der Grund für die Zunahme der Rate, in der Energie von der Wirtschaft zum „Verschmutzungseffekt“ fliesst. Da die Größe des Kapitals die Produktionsrate bestimmt, stürzt die Leistung auch rapide nach dem Erreichen des Höhepunkts ab. Das ist die Essenz des Seneca-Effekts.

Bringt man weitere „Mitspieler“ in dieses Modell ein, erhöhen wir dessen Komplexität, jedoch mit den gleichen Ergebnissen. Zudem nähern wir uns dann dem Modell von Tainter an, das besagt, dass Zivilisationen aufgrund der zunehmenden Komplexität, die mehr Probleme als Nutzen mit sich bringt, kollapieren.

Der Seneca-Effekt in der realen Welt

Leider gibt es wenige, historische Beispiele für den Seneca-Effekt, da uns die notwendigen Daten fehlen, um das Modell zu füttern. Eine Ausnahme bildet die Zivilsation der Maya:

Dunning – Bildquelle: Dunning et al (1998)

Im Fall der Maya übernimmt die Erosion den Part des „Verschmutzungseffekts“, die dem Kapital Ressourcen/Energie entzieht und somit zum Kollaps führt. Jedoch soll nicht unerwähnt bleiben, dass Kritiker einen Klimawandel als Ursache für den rapiden Abfall bei den Bevölkerungszahlen ansehen.

Ein anderes, zeitlich näher liegendes Beispiel, ist die Studie „Peak oil is history“ von Dmitry Orlov, die sich mit der Erdölförderung Russlands beschäftigt:

Russische Erdölproduktion – Bildquelle: www.culturechange.org

Auch hier sehen wir kurz nach Erreichen des Höhepunkts einen scharfen Absturz in der Produktion – ein klassisches Seneca-Kliff. Anzumerken ist hierbei, dass der für uns wichtige Zeitabschnitt im Zeitraum des bestehens der Sowjetunion bis zu deren Kollaps liegt, die damals wie eine Art Mini-Welt, ohne Kapitalzuflüsse von außen, existierte. Erst nach Öffnung der Sowjetunion und Abkehr von dessen isoliertem, wirtschaftlichen System strömte neues Kapital ein und ermöglichte somit den rechts erkennbaren Anstieg der Produktion und erst damit funktioniert unser angenommenes Modell nicht mehr.

Schlußfolgerung

Wie immer ist die Zukunft etwas, was wir durch unser Handeln beeinflussen und Modelle können uns nur sagen, welche Handlungen uns ggf. zu einem bestimmten Ergebnis führen werden. Modelle können sehr nützlich dabei sein, insbesondere kleine Einheiten, wie beispielsweise Unternehmen, zu erklären. Jedoch wird immer der Seneca-Effekt das Endergebnis sein, wenn wir auch noch so hart versuchen die Dinge in gewohnter Weise am Laufen zu halten. Und dadurch gehen uns noch schneller die notwendigen Ressourcen zum Systemerhalt aus, als wenn wir das System seinen eigenen „Weg gehen lassen“ – ohne den Versuch einen bestimmten Weg, den wir als Mensch wollen, vorzugeben.

Was uns das Seneca-Kliff letztendlich sagt, ist, dass die weltweite Situation und die einhergehenden Probleme wahrscheinlich die unvermeidliche Folge der zu hohen Belastung der bereits stark erschöpften natürlichen Ressourcen sind. Ein möglicher Ausweg kann die Nutzung erneuerbarer Energien sein und das Nichtausbeuten teuerer Ressourcen (Schiefergas, Tiefseeerdöl usw.).

Quellen:
The Seneca effect: why decline is faster than growth
Nuclear Energy And The Fossil Fuels
Testing Hubbert
Peak Minerals
The Limits to Growth Revisited
Entropy, Peak Oil, and Stoic Philosophy
Bathtub dynamics: initial results of a systems thinking inventory
A Simple Interpretation of Hubbert’s Model of Resource Exploitation
Tainter’s law: where is the physics?
Peak oil is history

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