Schweizer Franken: Tsunamis kommen meistens ohne Vorwarnung

Am Donnerstag, den 15. Januar, stellte die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihre drei Jahre andauernden Bemühungen ein den Schweizer Franken in einem Gleichgewicht zum Euro zu halten. An einem einzigen Tag brachte diese Entscheidung dem Schweizer Franken (CHF) einen massiven 21%-Anstieg gegenüber dem US-Dollar und 41% gegenüber dem Euro ein. Die Entscheidung sandte Schockwellen von beispielloser Heftigkeit durch den Devisenmarkt (FX), der mit Abstand der größte und am meisten gehebelte Trading-Markt der Welt ist. Der Geldtsunami bedroht alle FX-Teilnehmer und sogar ihre Makler. Aber noch wichtiger ist, auch weil das übrige Europa unter einer alles erstickenden Währung zu ersticken scheint, dass die Schweizer ein Fenster der Realität im Zentralbankensystem geöffnet haben. Hoffentlich wird sich einiges der frischen Luft auch im der Rest der Welt verbreiten.

Die meisten Länder der so genannten entwickelten Welt sind der US/UK-geführten „Anglosphäre“ bei der Verfolgung des Keynesianismus gefolgt, der auf einem verbrauchsabhängigen Wirtschaftswachstum basiert, das angeblich von Währungsentwertungen stimuliert werden kann.

Auf der anderen Seite wurden die Deutschen und die Schweizer lange Zeit als die Meister der österreichischen Schule, die ein Wirtschaftswachstum beruhend auf Einsparungen, Produktion und gesundes Geld favorisierte, angesehen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verlieh diese Philosophie den beiden Währungen eine ungeheure Kraft und führte dazu, dass sich private Investoren und Unternehmen auf den Schweizer Franken und die Deutsche Mark als hochliquide und verzinsliche Alternativen zu Gold und als Wertsache verliessen. Es ist interessant festzustellen, dass beide Volkswirtschaften, trotz der durchgängigen Stärkung ihrer Währungen, einen starken Export in den Nachkriegsjahren entwickelten. Die Deutschen traten zum Teil in die Eurozone ein, um ihre Exporteure zu schützen. Außerhalb der EU hatten die Schweizer kein solches Schutzschild.

Schweizerische Nationalbank in Bern - Bildquelle: Wikipedia / BaikonurSchweizerische Nationalbank in Bern - Bildquelle: Wikipedia / Baikonur

Schweizerische Nationalbank in Bern – Bildquelle: Wikipedia / Baikonur

Aber die Finanzkrise von 2008 und die Krise der Eurozone von 2011 inspirierte die Anleger dazu sichere Anlagen zu suchen. Aber nachdem die volumengrößere Deutsche Mark aus dem Markt ausschied, wurde der Franke die einzig gangbare Alternativwährung zum US-Dollar. Dies lies den Wert des Franken 2010 und 2011 emporschnellen. Voller Panik, dass die steigende Währung die Exporte erschwert, beschloss die Schweizerische Nationalbank (SNB) eine Bindung an den Euro, so dass der CHF nicht unter 1,20€ fallen durfte. Um diese Bindung aufrecht erhalten zu können, musste die SNB Hunderte Milliarden Franken aufwenden, um Euros auf dem freien Markt zu kaufen. Eine Politik, die immer unpopulärer unter den Schweizer Bürgern wurde (mehr dazu in Peter Schiffs jüngsten Kommentar).

Als sich Ende 2014 eine Deflation in der Eurozone auszubreiten begann, gab es den gemeinsamen Konsens, dass die Europäische Zentralbank (EZB) endlich eine Fed-ähnliche quantitative Lockerung (Quantitative Easing, QE) einläuten sollte. Der Euro begann dann zu taumeln. Am 14. Januar 2015 deutete der durch die Politik vereinnahmte Europäischen Gerichtshof an, dass, trotz des ausdrücklichen Verbots im Europäischen Vertrag, es der EZB möglich ist Staatsanleihen der Eurozonenländer aufzukaufen.

Außerdem meinte der Gerichtshof, dass die EZB die Geldpolitik diktieren sollte, nicht die Judikative. Dies schien ein bewusster Seitenhieb auf das deutsche Bundesverfassungsgericht zu sein, das von vielen als letzte Bastion des ehrlichen Geldes in der EU gesehen wird. Es schien auch so, als würde der EuGH Draghi freie Hand für ein unbegrenztes QE geben, möglicherweise im Billionen Euro Bereich. Dies führte dazu, dass der Euro ins Schwimmen geriet und die SNB musste befürchten noch mehr Milliarden des vom Volk „hart verdienten Frankens zur Stützung eines siechenden Euros“ ausgeben zu müssen.

Offenbar beschloss die SNB – auch wegen einer Wirtschaft, die deutlich besser als jene in der Eurozone da steht -, dass es Zeit war die Ersparnisse der Menschen und ihre Lebensweise zu schützen. Selbst auf Kosten der eigenen Exporteure fühlten sich die Schweizer ihrer nationalen Interessen verpflichtet, nicht weiter Teil eines System der Inflationierung mit allen Mitteln durch die EZB zu sein. Die Zeit wird zeigen, ob die Entscheidung ein Akt der Erlösung oder Selbstmord ist. Sicherlich brachen die Aktienkurse der Schweizer Exporteure wie Swatch dramatisch mit den Ankündigungen der SNB ein (zumindest in Franken, aber sie wurden gestärkt, wenn man sie in Dollar oder Euro berechnet). Die Welt sollte nun genau auf die Bilanzen dieser Schweizer Unternehmen achten. Sollten ihre Erträge weiter wie bisher Bestand haben, dann muss die Lüge, dass eine schwache Währung zu mehr Wachstum führt, endlich zu Grabe getragen werden. Auf der anderen Seite könnten jetzt die Schweizer Banken, die große Summen in Schweizer Franken an ausländische Kreditnehmer zu niedrigen Zinsen ausgeliehen haben, schwere Kreditabschreibungen vornehmen müssen.

Aber wichtiger als die Gewinn- und Verlustrechnung von Swatch ist der Effekt, den der überraschende Schritt der SNB auf die weltweiten Devisenmärkte haben wird. Normalerweise bewegen sich wichtige Währungen an einem Tag nur in Bruchteilen eines Prozents. Die hohen Hebelwirkungen wurden daher als annehmbar angesehen. In London, wo fast die Hälfte der internationalen Währungstransaktionen abgewickelt werden, können die Teilnehmer zu 100 Prozent, wenn nicht sogar mehr, hebeln, sollten bestimmte Bonitätsbedingungen herrschen. Lässt man sich so weit darauf ein, lässt das wenig Spielraum für Fehler.

Das Blutbad am 15. Januar war grausam. Alpari in London, FXCM in New York, NZ Limited in Neuseeland waren nur einige der Broker-Firmen, die ihren vielen Kunden, wie beispielsweise dem Everest Capital Global Hedge Fonds mit 830.000.000 US-Dollar Verlust, folgten. Vielleicht sind diese Verluste nur die ersten in dem, was ein Massaker werden könnte, wenn sich die Währungen immer mehr der Kontrolle der Notenbanker entziehen können.

SNB-Präsident Thomas Jordan versuchte die Auswirkungen abzumildern als er sagte: „Wir haben wieder einen freien Wechselkurs.“ In der Zwischenzeit waren die Marktteilnehmer und die zentralen Bankinstitute rasend vor Wut.

Möglicherweise wurde der schlimmste Schaden der Glaubwürdigkeit der Zentralbankäußerungen zugefügt. Zukünftig werden so genannte „forward guidance“ auf niedrige Zinsen wahrscheinlich immer schwieriger. Zudem wird es an den Märkten so wahrgenommen werden, als hätten die Schweizer die Eurozone „verlassen“. Wenn dem so ist, dann dürfte ihr „Verlassen“ eine gewisse Legitimität für echte Mitglieder wie Griechenland sein, ebenfalls aus der Eurozone auszuscheiden, was wiederum neue Sorgen um die Zukunft des Euros, inzwischen die zweitwichtigste Fiat-Währung der Welt, mit sich bringen wird.

In der Zwischenzeit hat sich Gold deutlich erholt, was auf eine zunehmende Besorgnis der Anleger hindeutet. Vielleicht sollten sich Investoren, die immer noch stark in den „Blasenmärkten“ engagiert sind – im Vertrauen darauf die Ausfahrt rechtzeitig nehmen zu können, wenn Gefahr droht -, daran erinnern mit welcher atemberaubender Geschwindigkeit die Schweizer Ankündigung die Märkte traf. Obwohl die SNB bestritten hatte, dass ein solcher Schritt passieren würde – nur wenige Tage bevor das Messer gezückt wurde -, zeigt das Ganze nur, wie wichtig das Abstreiten im Lexikon der modernen Wirtschaft geworden ist. Seismische Ereignisse treten in der Regel mit wilder Plötzlichkeit auf und selten nach und nach. Investoren würden gut daran tun ihren Blick auf zukünftige Schocks zu legen und ihre Portfolios entsprechend zu strukturieren.

(Teil-/Übersetzung des Artikels Tsunamis Most Often Come Without Warning von John Browne/Euro Pacific Capital)

Quellen:
Tsunamis Most Often Come Without Warning
Switzerland Wins As Its Central Bank Surrenders


An dieser Stelle sei nochmals auf die neue Rubrik Adjunktion – Gemeinsam hinterfragen hingewiesen.
Mein Hintergedanke zu dieser Rubrik ist der, dass ich gerne euch als Leser mehr in die Themen, die auf www.konjunktion.info behandelt werden, einbinden möchte. Dazu könnt ihr auf verschiedenen Wegen (Text, Bild, Audio, Video) Anregungen, Anmerkungen und Fragen zu bereits behandelten Themen oder komplett neuen Sachverhalten stellen. Diese werde ich dann entweder als Einzelartikel versuchen zu beantworten oder in Form einer Gemeinsamschaftsarbeit über die Kommentarfunktion des Artikels durch die Leser “erarbeiten” lassen – ganz nach dem klassischen Gedanken der Schwarmintelligenz.

 

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