TTIP: „Regulierungszusammenarbeit“ – ein weiterer Sargnagel für die DemokratieLesezeit: 7 Minuten
Als im Oktober 250.000 Menschen (manche sprechen sogar von 500.000) in Berlin vornehmlich gegen das Abkommen TTIP (dabei sind CETA und TiSA mindestens genauso wichtig) auf die Straße gingen, versuchte die Hochleistungspresse zuerst den Protest herunterzuschreiben und die Teilnehmer ins rechte Eck zu stellen. Da dies nicht funktionierte und die verquere Logik hinter der Begründung, warum die Demonstranten „rechts seien“, sich immer offensichtlicher (die Teilnehmer kamen über alle politische Spektren verteilt nach Berlin) als nicht haltbar herausstellte, schwiegen unsere Erfüllungsgehilfen von der Atlantikbrücke und des German Marshal Funds das Thema bzw. diesen Massenprotest mehr oder weniger tot.
Genauso wie es unsere Redaktionsstubenfüllmasse der Hochleistungspresse auch jetzt tut – zumindestens wenn man Google News nach den Schlagwörtern TTIP und regulatory cooperation bzw. Regulierungszusammenarbeit durchsucht.
Zur Erklärung: Die TTIP-Verhandlungen zwischen den USA und der EU haben in den letzten Wochen eine neue ganz entscheidende Phase erreicht, in der es um bestehende rechtliche Bestimmungen geht, die einer neuen Reihe von Regelungen weichen soll. Das Ganze läuft unter dem Stichwort regulatory cooperation (Regulierungszusammenarbeit) und dabei geht es nicht – wie die Übersetzung es andeutet – um eine Zusammenarbeit, die den öffentlichen Interessen dient.
Regulatory cooperation bedeutet nämlich, dass jahrzehntelange Vorschriften, die von den verschiedenen Regierungen zum Schutz der öffentlichen Interessen und zur Sicherheit der Bürger beschlossen wurde, gestrichen werden. Wichtig ist dabei, dass die neuen „Ersatzregelungen“ ohne Öffentlichkeit, ohne Mitwirkung von Parlamenten und Volksvertretern beschlossen werden. Und dabei geht es um solch essenzielle Dinge wie: Umweltschutz, Arbeitsplatzschutz/-sicherheit, Lebensmittelsicherheit und andere Gesetze, die die Menschen schützen sollen.
Zukünftig muss jede neue Regelung, die von einem der Vertragspartner des undemokratischen, menschenverachtenden und nur den Konzerninteressen dienenden Abkommens TTIP eingebracht wird, von allen Vertragspartnern abgesegnet werden. Das bedeutet letztlich, dass eine Regelung, die nicht im Sinne z.B. eines US-Konzerns ist de facto nicht zum Tragen kommt, da die entsprechenden Hürden für eine Verabschiedung so hoch gesetzt werden, dass es zu jahrelangen Verhandlungen darüber kommen wird. Unternehmensinteressen stehen also klar vor den Interessen der Menschen!
Die Gruppe Corporate Observatory hat kürzlich einen Bericht veröffentlicht: Dangerous Regulatory Duet (Gefährliches Regulierungsduet). Darin wird erklärt wie ein neues Rahmenwerk unter der TTIP-Regulierungszusammenarbeit geschaffen wird, das es der Bürokratie und den Konzernen ermöglicht die öffentlichen Interessen anzugreifen:
Recently, the European Court of Justice struck down the so-called Safe Harbour agreement, which was concocted under what is termed „regulatory cooperation“. The Court argued that the agreement did not safeguard citizens’ rights to data privacy.
(Vor Kurzem hat der Europäische Gerichtshof die sogenannte Safe-Harbour-Vereinbarung zu Fall gebracht, dies wurde unter dem, was man als „Zusammenarbeit bei der Regulierung“ bezeichnet, ausgeheckt. Das Gericht argumentierte, dass die Vereinbarung nicht die Rechte der Bürger beim Datenschutz sichert.)In 2004, big US financial institutions managed to secure an agreement that would allow them to operate in the EU while being monitored by US supervisory authorities. As a consequence, when the financial crisis reached its peak in 2008, it was revealed that neither US nor EU financial authorities had any idea what assets the US insurance giant AIG had on its books. The collapse of this corporation marked a key drama in the crisis, and led to a bailout of 186 billion dollars.
(Im Jahr 2004 gelang es großen US-Finanzinstituten eine Vereinbarung abzuschließen, die es ihnen ermöglichen würde in der EU Geschäfte zu betreiben, während sie von den US-Aufsichtsbehörden überwacht werden. Als Folge der Finanzkrise, als diese ihren Höhepunkt im Jahr 2008 erreicht hatte, wurde aufgedeckt, dass weder die USA noch die EU-Finanzbehörden eine Ahnung hatten, welche Vermögenswerte der US-Versicherungsriese AIG in seinen Büchern hatte. Der Zusammenbruch dieser Gesellschaft markierte ein Schlüsseldrama in der Krise und führte zu einem Bail-Out in Höhe von 186 Milliarden Dollar.)A proposal on „electroscrap“ chemical waste was watered down in 2002. It can be argued that the precautionary principle was sidelined in this case, as the final version made it impossible for member states to adopt a ban even when a substance is deemed dangerous.
(Ein Vorschlag zur „Verklappung“ chemischer Abfälle wurde im Jahr 2002 verwässert. Man kann argumentieren, dass das Vorsorgeprinzip in diesem Fall ins Abseits gedrängt wurde, da es die endgültige Version für die Mitgliedstaaten unmöglich machte, ein Verbot auszusprechen selbst wenn ein Stoff als gefährlich erachtet wird.)A proposal to move faster on ozone-depleting substances was struck down in 2000.
(Ein Vorschlag schneller ozonabbauende Stoffe zu bahnen wurde im Jahr 2000 abgelehnt.)The EU’s ban on testing cosmetics on animals, ready to adopt in 1993, was delayed for 15 years thanks to „regulatory cooperation“.
(Das EU-Verbot von Tierversuchen bei Kosmetika, das im Jahr 1993 fertig zur Abnahme war, wurde um 15 Jahre aufgrund der „Zusammenarbeit bei der Regulierung“ verzögert.)EU climate policy has also been targeted. The EU’s 2013 proposal that airlines should pay for emissions was immediately attacked and effectively stopped by the US. Although the idea of „pricing carbon“ in this way was never a promising solution, the affair shows that „regulatory cooperation“ can also be dangerous for climate policies.
(Die EU-Klimapolitik wurde ebenfalls ins Visier genommen. Der Vorschlag der EU im Jahr 2013, dass Fluggesellschaften für die Emissionen zahlen sollten, wurde sofort angegriffen und effektiv durch die USA gestoppt. Obwohl die Idee des „Bepreisens von Kohlendioxid“ auf diese Weise nie eine vielversprechende Lösung war, zeigt die Affäre, dass die „Regulierungszusammenarbeit“ auch für die Klimapolitik gefährlich sein kann.)Ambitious proposals may not even be tabled by the Commission if they go against the interests of US corporations. Certain Commissioners and their civil servants have more clout, especially those working on trade and industrial policy. Conversely, those parts of the Commission entrusted with for example environmental matters are weakened.
(Ehrgeizige Vorschläge können nicht einmal der Kommission vorgelegt werden, wenn sie gegen die Interessen der US-Unternehmen sind. Bestimmte Mitglieder der Kommission und ihre Beamten haben mehr Einfluss, vor allem diejenigen, die in der Handels- und Industriepolitik arbeiten. Umgekehrt werden die Teile der Kommission geschwächt, denen beispielsweise Umweltfragen obliegen.)The European Parliament is disempowered, will have a harder time being heard by the Commission, and will have less influence over the implementation phase of rulemaking. The power of bureaucrats in the EU institutions is boosted, and they are allowed to make crucial decisions on existing and future regulation.
(Das Europäische Parlament ist entmachtet, es wird viel schwieriger werden, dass die Kommission das Parlament anhört und es wird weniger Einfluss auf die Regelungserstellungsphase haben. Die Macht der Bürokraten wird in den EU-Institutionen gestärkt, und sie werden dazu berechtigt wichtige Entscheidungen über bestehende und künftige Regulierung zu treffen.)Last but by no means least, „regulatory cooperation“ can lead to decisions that sidestep cornerstones of existing EU legislative acts, and even the Treaty on European Union.
(Zu guter Letzt kann die „Zusammenarbeit bei der Regulierung“ zu Entscheidungen führen, die die Eckpfeiler der bestehenden EU-Rechtsakte umgehen, sogar den Vertrag über die Europäische Union.)
Diese Vereinbarung hat zweifellos tiefgreifende Folgen für die hart erkämpften demokratischen Rechte der Menschen in der EU. WikiLeaks, Informanten und alternative Nachrichtenagenturen sind die einzigen Quellen um herauszufinden, was hinter verschlossenen Türen von Politikern beschlossen wird. Eine korrupte Kaste, die nicht dem Souverän dient, sondern eigenen und damit Konzerninteressen, verkauft seine eigene Bevölkerung höchstbietend an irgendwelche Multis. Damit verfestigt sich immer mehr die Tatsache, dass nicht mehr die Bürger diejenigen sind die entscheiden, sondern dass die wahre Macht heute in den Händen von multinationalen Konzernen und Banken liegt.
Quellen:
TTIP bringt Rekordzahl von Gegnern auf die Straße
TTIP Enters New and Dangerous Stage As Democracy is Dismantled in Secret
Dangerous Regulatory Duet
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