Reporter ohne Grenzen: „Eine neue Ära der Propaganda“ – 2016 World Press Freedom IndexLesezeit: 7 Minuten
Die 2016er Ausgabe des World Press Freedom Index […] zeigt, dass es einen tiefen und beunruhigenden Rückgang bei der Medienfreiheit im Bezug auf globaler und regionaler Ebene gibt. Seit dem 2013er-Index haben die Reporter ohne Grenzen Indikatoren für die Gesamthöhe der Verletzung der Medienfreiheit in jeder Region der Welt sowie weltweit berechnet. Je höher die Zahl, desto schlechter ist die Situation. Der globale Indikator hat sich von 3.719 Punkten im vergangenen Jahr auf 3.857 Punkte in diesem Jahr bewegt, eine 3,71%-ige Verschlechterung. Der Rückgang seit 2013 beträgt 13,6%.
—
(The 2016 edition of the World Press Freedom Index […] shows that there has been a deep and disturbing decline in respect for media freedom at both the global and regional levels. Ever since the 2013 index, Reporters Without Borders has been calculating indicators of the overall level of media freedom violations in each of the world’s regions and worldwide. The higher the figure, the worse the situation. The global indicator has gone from 3719 points last year to 3857 points this year, a 3.71% deterioration. The decline since 2013 is 13.6%.)
Die in Fankreich beheimatete Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG, Reporters Sans Frontiers) hat am Mittwoch ihren 2016er World Press Freedom Index veröffentlicht. Und wie wir aus dem obigen Ausschnitt entnehmen können, hat sich die Pressefreiheit weltweit verschlechtert. Eine neue Ära der Propaganda wurde eingeläutet.
Körperliche Gewalt gegenüber Journalisten, immer autoritärer agierende Regierungen, Bedrohungen aus religiöser Ideologie heraus, strengere Kontrolle der staatlichen Medien und immer offensichtlicher werdende Vorgaben zur Berichterstattung haben zu dieser Abwärtsspirale beigetragen.
Besonders Lateinamerika ist laut Index um 20,5% abgefallen. Journalisten wurden in Mexiko und Zentralamerika angegriffen und sogar getötet. Brasilien leitet unter massiver Korruption im Medienbereich und Argentinien unter einer Medienkonzentration mit ganz wenigen Beteiligten.
Repressive Regierungen im Mittleren Osten (inklusive US-Vasallen) und in China beschränken den Zugang zum Internet oder zerstören sogar Medienredaktionen und Ausrüstung. Auf der ganzen Welt werden Gesetze wieder „aktiviert“ oder neu erlassen, die Journalisten kriminalisieren, wenn sie beispielsweise „den Präsidenten beleidigen, sich blasphemisch äußern oder den Terrorismus unterstützen“. Ein weites Betätigungsfeld für die „staatlichen Stellen“ bei solch schwammigen Forumlierungen, die alles und nichts beinhalten und immer im gewünschten Sinne interpretiert werden können.
Christophe Deloire von ROG zur Agence France Presse dazu:
Alle Indikatoren zeigen eine Verschlechterung. Zahlreiche Behörden versuchen die Kontrolle über ihre Länder wieder zu erlangen, sie fürchten allzu offene öffentliche Debatten. Heute ist es zunehemd einfacher für die Mächtigen unmittelbar durch neue Technologien an die Öffentlichkeit zu appellieren, und so gibt es ein höheres Maß an Gewalt gegen diejenigen, die unabhängige Informationen darstellen. Wir treten in eine neue Ära der Propaganda ein, wo neue Technologien eine zu geringen Kosten herstellbare Verbreitung der eigenen [Regierungs]Kommunikation ermöglichen, ihre Informationen, die sie vorgeben. Auf der anderen Seite sind Journalisten diejenigen, die ihnen in die Quere kommen.
—
(All of the indicators show a deterioration. Numerous authorities are trying to regain control of their countries, fearing overly open public debate. Today, it is increasingly easy for powers to appeal directly to the public through new technologies, and so there is a greater degree of violence against those who represent independent information. We are entering a new era of propaganda where new technologies allow the low-cost dissemination of [governments’] own communication, their information, as dictated. On the other side, journalists are the ones who get in the way.)
Die Länder, die am schlechtesten beim Index abschneiden, finden wir im Mittleren Osten und Nordafrika, zudem Korea und China. Finland, die Niederlande und Norwegen rangieren ganz oben. Die USA ist auf Platz 41 zu finden, obwohl doch gerade Washington immer so gerne das Banner der Menschenrechte als „Anführer der freien Welt“ vor sich herträgt. Deutschland liegt überigens auf dem 16. Platz.
Whistleblower haben in den USA aufgrund des Espionage Act Gefängnis und harte Strafen zu befürchten. Und es sind nicht nur Informanten, die die staatliche Gewalt zu spüren bekommen können. Im vergangenen Jahr veröffentlichte das US-Kriegsministerium ein 1.180 umfassendes „Handbuch“ Law of War (Kriegsrecht), das die Bestimmungen für militärische Befehlshaber bzgl. der Verletzungen der Rechte der Journalisten beschreibt. Associated Press dazu:
Das Handbuch Kriegsrecht, das zum ersten Mal für alle Zweige des Militärs anzuwenden ist, beinhaltet eine vage formulierte Bestimmung, die die militärischen Befehlshaber im Großen und Ganzen selbst auslegen können, so Experten für Militärrecht und Journalismus. Kommandeure könnten Journalisten auffordern Militärbasen zu verlassen oder Journalisten für eine beliebige Anzahl von angenommen Straftaten verhaften.
„Im Allgemeinen sind Journalisten Zivilisten“, besagt das 1.180 Seiten-Handbuch, aber es fügt hinzu, dass „Journalisten Mitglieder der Streitkräfte sein können, Personen, die berechtigt sind die Streitkräfte oder nicht bevorrechtigte Kriegführende zu begleiten.“
Eine Person, die als „nicht bevorrechtigt kriegsführend“ gilt, kann sich nicht auf die Rechte der Genfer Konvention berufen, so könnte ein Kommandant von bestimmten Versorgungsgebieten [den Zugang] beschränken oder sogar jedem Reporter, der „nicht bevorrechtigt kriegsführend“ ist, auf unbestimmte Zeit ohne Begründung diesen verbieten.
—
(The Law of War manual, updated to apply for the first time to all branches of the military, contains a vaguely worded provision that military commanders could interpret broadly, experts in military law and journalism say. Commanders could ask journalists to leave military bases or detain journalists for any number of perceived offenses.
„In general, journalists are civilians,” the 1,180 page manual says, but it adds that “journalists may be members of the armed forces, persons authorized to accompany the armed forces, or unprivileged belligerents.“
A person deemed „unprivileged belligerent“ is not entitled to the rights afforded by the Geneva Convention so a commander could restrict from certain coverage areas or even hold indefinitely without charges any reporter considered an „unprivileged belligerent.“)
Und weiter ist zu lesen:
Die Berichterstattung über militärische Operationen können der geheimdienstlichen Informationsbeschaffung sehr ähnlich sein oder sogar der Spionage. Ein Journalist, der als Spion agiert, kann Subjekt von Sicherheitsmaßnahmen und bestraft werden, wenn er gefasst wird.
—-
(Reporting on military operations can be very similar to collecting intelligence or even spying. A journalist who acts as a spy may be subject to security measures and punished if captured.)
Echter Journalismus, den es natürlich immer noch gibt, aber viel zu selten auf den ersten Seiten zu finden ist, stellte sich schon immer gegen die Macht der Regierungen und deren Kontrolle. Im Zeitalter des sofortgen Informationsaustausches stellen unabhängie Medien eine bislang nicht bekannte Kraft dar, einem autoritären Regierungssystem entgegenzuwirken. Der ROG-Bericht sollte uns daran erinnern, dass Informationen nur so gut und authentisch sind, wie es die Regierungen zulassen. Deshalb gilt nach wie vor: Querinformieren, überprüfen, kritisch sein. Egal, ob Mainstream oder Alternative Medien. Immer.
Das Klima der Angst führt zu einer wachsenden Abneigung vor Diskussionen und Pluralismus, ein Angriff auf die Medien durch immer autoritärere und repressivere Regierungen, und eine im Privatbesitz befindliche Medienberichterstattung, die zunehmend von persönlichen Interessen geprägt ist. Ein des Namen Journalismus würdiger muss gegen die Zunahme der Propaganda und der Medieninhalte, die von interessierter Seite in Auftrag gegeben oder gesponsert wird, verteidigt werden. Das Recht der Öffentlichkeit auf unabhängige und zuverlässige Nachrichten und Informationen zu garantieren ist wichtig, wenn die Menschheit die Probleme, sowohl lokal als auch global, lösen will. – ROG Generalsekretär Christophe Deloire
—
(The climate of fear results in a growing aversion to debate and pluralism, a clampdown on the media by ever more authoritarian and oppressive governments, and reporting in the privately-owned media that is increasingly shaped by personal interests. Journalism worthy of the name must be defended against the increase in propaganda and media content that is made to order or sponsored by vested interests. Guaranteeing the public’s right to independent and reliable news and information is essential if humankind’s problems, both local and global, are to be solved. – RSF secretary-general Christophe Deloire)
Quellen:
World Media Watchdog: Truthful Media in Decline, a “New Era of Propaganda” is Upon Us
ROG – Ranking
2016 World Press Freedom Index: a “deep and disturbing” decline in media freedom
World press watchdog warns of ‘new era of propaganda’
ROG – Ranking USA
The United States ranks 41st in Reporters Without Borders 2016 World Press Freedom Index
Ein Artikel bildet zwangsweise die Meinung eines Einzelnen ab. In Zeiten der Propaganda und Gegenpropaganda ist es daher umso wichtiger sich mit allen Informationen kritisch auseinander zu setzen. Dies gilt auch für die hier aufbereiteten Artikel, die nach besten Wissen und Gewissen verfasst sind. Um die Nachvollziehbarkeit der Informationen zu gewährleisten, werden alle Quellen, die in den Artikeln verwendet werden, am Ende aufgeführt. Es ist jeder eingeladen diese zu besuchen und sich ein eigenes Bild mit anderen Schlussfolgerungen zu machen.
9 Antworten
[…] Reporter ohne Grenzen: „Eine neue Ära der Propaganda“ (konjunktion) […]