Man kann sich vom Gefühl eines Déjà-vus nicht freisprechen – auch wenn die Beteiligten andere Personen als beim letzten Mal waren: Wieder wurde das politische Establishment von der Wut der Bürger überrannt. Wieder wurden wir vor einer Panik an den Märkten gewarnt und ein Ausverkauf als unvermeidlich hingestellt. Und dann passierte… nichts, die Lage stabilisierte sich. Die Regierung wird ausgetauscht und alles geht seinen gewohnten Gang.
Die letzte Aufführung dieses Déjà-vus durften wir am vergangenen Sonntag erleben, als der italienische Premierminister Matteo Renzi eine schwere Niederlage einstecken musste. Der überwältigende Teil der Menschen in Italien wollte keine Verfassungsänderung, an der Renzi sein politisches Überleben geknüpft hatte. Und sie sahen dieses Referendum als Möglichkeit an über die Politik eines Renzis und über den vorherrschenden Status Quo abstimmen zu können.
Renzis Niederlage beendet eine für italienische Verhältnisse lange Regierungszeit von zwei Jahren. Es ist aber auch gleichzeitig eine Niederlage für die EU in Brüssel, die hoffte, dass sich die „aufsässigen Italiener“ auf diese „milde Reform“ einlassen würden und dass dieser „Türöffner“ weitere EU-freundliche Reformen ermöglichen würde. Aber mit dem „Nein“ von 59% der am Referendum teilgenommen Wählerstimmen ist die Niederlage Renzis, respektive der EU, ein Sieg für Beppe Grillo und seine Fünf-Sterne-Bewegung. Eine Bewegung, die keine klassische politische Partei ist und seit ihren Anfängen als „Internetphänomen“ im Jahre 2009 zu einer politischen Kraft in Italien geworden ist. Neben der Fünf-Sterne-Bewegung Grillos liegt auch die Lega Nord den EU-Granden schwer im Magen, da sich beide gegen die EU in ihrer jetzigen Form aussprechen und den Euro verlassen wollen.
Die erste Reaktion der Märkte nach den ersten Ergebnissen aus Italien war Panik und der Euro fiel auf ein Zwei-Jahrestief gegenüber dem US-Dollar. Aber genauso wie nach dem Brexit in Großbritannien schoßen plötzlich die Aktienwerte hier des FTSI MIB in die Höhe – selbst die italienischen Bankaktien konnten an der Rally an der Mailänder Börse partizipieren.
Wir sehen, dass nicht Fakten in den Augen der Börsianer und Marktteilnehemr wichtig sind, sondern Phantasien und persönliche Wahrnehmungen zu bestimmten Ereignissen, sprich Psychologie. Denn Fakt ist, dass Stand heute niemand genau weiß, was diese Entscheidung für Italien bedeuten wird, für die politische Struktur in diesem Land, für die Bankenkrise oder für den Euro. Wie kann es also sein, dass alles plötzlich nach oben dreht?
Klar ist jedoch, dass eine weitere bürgerliche Bewegung an die Türen der Macht klopft und den Status Quo zu Fall bringen kann. Seitdem Italien 2010 in die Reihe der „PIIGS“-Staaten gestellt wurde, hat sich die Wut der Menschen in Italien immer stärker aufgestaut. Die „Technokraten-Regierung“ unter Mario Monti, dem ehemaligen Goldman Sachs-Mann und Bilderberger, und auch die damaligen „Bail-Out-Verhandlungen“ haben die Meinung der Italiener über Brüssel und die EU sicherlich nicht verbessert. Vielmehr haben auch die Italiener vom Diktat aus Brüssel genug und wollen die bestehenden, sich verselbstständigenden und korrupten Strukturen in der Politik, der Wirtschaft und im Bankensektor, die das Land Nahe an den Abgrund brachten, nicht mehr hinnehmen.
Die Fünf-Sterne-Bewegung ist damit logischerweise ins gleiche Fadenkreuz der Hochleistungspresse gelangt, die auch gegen die Unterstützer des Brexits und Donald Trumps, die aufgrund angeblicher Falschmeldungen so abgestimmt haben wie sie es haben, schießt. Das Narrativ, dass die Menschen durch Fake News und wegen russischer Propaganda in ihrer Wahl beeinflusst, gar hineinmanipuliert worden sind, greift also weiter um sich. Warum auch nicht, denn anscheinend funktioniert für Politik und Hochleistungspresse diese neue „Keule“ bestens.
Noch ist es zu früh, um zu erkennen, worauf das ganze auf politischer Ebene hinaus laufen wird. Auch gibt es aktuell noch keinen Termin für eventuelle Neuwahlen in Italien. Manche gehen davon aus, dass diese im Februar stattfinden könnten. Bloomberg schreibt in einem Artikel zu Beppe Grillo/Fünf-Sterne mit dem Titel Everything You Need to Know About Italy’s Five Star Movement: QuickTake Q&A mehr oder weniger, dass man damit Zeit gewinnen will, um einen Sieg der Fünf-Sterne-Bewegung verhindern zu können:
Das aktuelle Wahlrecht vergibt automatisch Bonus-Sitze für die führende Partei im Unterhaus, um die Stabilität zu erhöhen. Das lässt die Mainstream-Parteien aufschrecken, die planen zusammen zu arbeiten und die Regeln zu ändern, bevor die Fünf-Sterne-Bewegung bei der nächsten Wahl davon profitieren kann. Wenn der nächste Regelsatz Koalitionen statt einzelne Parteien bevorzugt, könnte es für die Fünf-Sterne-Bewegung sehr schwierig werden den erforderlichen Verbündeten zu finden, um die Gesetzgebung zu kontrollieren.
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(The current electoral law automatically gives bonus seats to the leading party in the lower house, to boost stability. That’s spooking mainstream parties, which plan to get together and change the rules before Five Star can benefit in the next election. If the next set of rules favors coalitions rather than individual parties, Five Star may struggle to find the allies required to control the legislature.)
Trotz der Bemühungen der EU Europa immer weiter zu zentralisieren, wird es zur gleichen Zeit immer weiter auseinandergerissen. Die Wahl in Italien ist nur ein weiterer Ausdruck dieser Zerissenheit. Frankreich und die Niederlander werden alsbald folgen.
Quellen:
Next EU Domino Falls as Italy Rejects Renzi
Why Italy said ’no‘ to Renzi’s reforms
Euro falls to near 2-year low on Italy’s ‘no’ to reform
FTSE MIB Index
Italian Banks Tipped As Next Crisis
Bilderberg Leader Mario Monti Takes Over Italy in “Coup”
Italy’s Most Popular Political Party Is Leading Europe In Fake News And Kremlin Propaganda
Italian PM Renzi resigns, president to consult with parties
Everything You Need to Know About Italy’s Five Star Movement: QuickTake Q&A
EU Just Voted To Create Its Own Army, Britain May Be Forced To Pay For It — In Spite Of Brexit