Technokratie: Ein kurzer geschichtlicher Abriss

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Marion King Hubbert - Bildquelle: Wikipedia, Fair UseMarion King Hubbert - Bildquelle: Wikipedia, Fair Use

Marion King Hubbert – Bildquelle: Wikipedia, Fair Use

Der Name Marion King Hubbard dürfte nur wenigen Menschen ein Begriff sein. Seine von ihm entwickelte Theorie des Peak Oil dagegen schon. Bereits in den 1950ern sagte der damalige Shell Oil-Mitarbeiter voraus, dass die USA ihr Erdölfördermaximum in den 1970ern erreichen würde und dass danach die Produktion in den USA fallen wird. Bei seiner weltweiten Betrachtung sprach er davon, dass bis zum Jahre 2020 die Ölvorräte zur Neige gehen werden.

Die Peak Oil-Theorie, die manchmal auch als „Hubberts Peak“ bezeichnet wird, wurde höchstwahrscheinlich von den großen Spielern am Ölmarkt entwickelt, um künstliche Ängste vor Verknappung zu schüren und die Preise oben halten zu können. Denn Hubberts „Vorhersage“ beruhte nicht auf empirischen Daten über die damals bekannten Ölfelder. Sondern vielmehr auf den inkorrekten Annahmen über die verbliebenen Ölreserven (bekannt und unbekannt), die in einem heuristischen Modell verwendet wurden, um daraus die zukünftige Produktion abzuleiten.

Hubberts Kollege und Protege, Kenneth Deffeyes, gab im letzten Jahr zu, dass

[d]ie numerischen Methoden, die Hubbert verwendet hat, um seine Vorhersage zu machen, nicht kristallklar [sind]. Heute, 44 Jahre später, ist meine Vermutung, dass Hubbert, wie alle anderen, zuerst zu seinen Schlussfolgerung gelangte und dann nach Rohdaten und Methoden gesucht hat, um seine Schlussfolgerung zu unterstützen.

(The numerical methods that Hubbert used to make his prediction are not crystal clear. Today, 44 years later, my guess is that Hubbert, like everyone else, reached his conclusion first and then searched for raw data and methods to support his conclusion.)

Kurz vor seinem Tod 1989 räumte Hubbert – als er damals die Peak Oil-Ausarbeitungen dem Chef von Shell Oil zeigte – ein, dass er die Anweisung erhielt, mit seinen Annahmen zu den Ölreserven „nicht zu übertreiben“, wenn er mit Kollegen darüber spricht. Dabei bezog sich Shells erster Mann insbesondere auf die Arbeiten von L.G. Weeks, einem anderen Geophysiker, der annahm, dass die Reserveren weit höher sind. Was natürlich nicht zur Agenda der „angedachten Unterversorgung und der damit höheren Preise“ passte.

Aber obwohl Hubbert bis heute fast nur für seine Peak Oil-Theorie bekannt ist, war er tatsächlich in einem viel größeren, viel wichtigeren, bis heute andauernden Projekt involviert. Ein Projekt, das dabei helfen sollte, eine Bewegung zu implementieren bzw. wieder zum Leben zu erwecken, die bereits vor einem Jahrhundert populär war, aber dann seitens der Politik in Ungnade fiel, aber bis heute unter vielen verschiedenen Namen weiterlebt. Die Bewegung von der ich hier spreche, wird heute meist als Technokratie bezeichnet.

Technokratie definiert sich selbst als soziale Bewegung, eine Philosophie, eine wissenschaftliche Lösung für politische und ökonomische Probleme und ein neuer Weg die Welt zu ordnen. Aber im Grunde genommen ist es eine Idee für eine neue internationale Wirtschaftsordnung, die bis ins kleinste Detail von den Technokraten definiert wurde.

Der Autor Patrick Wood erklärt in seinem Buch Technocracy Rising: The Trojan Horse of Global Transformation:

Technokratie wurde 1938 durch ihre eigene Publikation The Technocrat’s Magazine sehr prägnant definiert. Sie nennen es ein System der wissenschaftlich-technischen Gesellschaft. Sie glaubten, dass sie alleine die einzigen waren, die die Gesellschaft richtig führen könnten. Als Resultat der Technologie, die aufkam und die Struktur der Gesellschaft veränderte, hassten sie die Politiker, sie hassten das Establishment, die Organisation der Gesellschaft, wie sie ist, weil sie nicht effizient war, es war nicht auf den Erhalt basierend, wenn man Ressourcen schonen würde. Daher sahen sie sich in der Pflicht, das ökonomische Modell zu definieren, das den Kapitalismus und das freie Unternehmertum ersetzen würde, und genau das war es, ein Ersatz des Wirtschaftssystems.

(Technocracy was defined very succinctly in 1938 by their own publication The Technocrat’s Magazine. They call it a system of scientifically engineering society. They believed that they alone were the only ones that could run society correctly. As a result of technology having come in and change the fabric of society, they hated politicians, they hated the establishment, the organization of society they way it is because it was not efficient, it was not conservation based if you will to conserve resources. So they took it upon themselves to define the economic model that would replace capitalism and free-enterprise and that’s exactly what it was, a replacement of the economic system.)

Ausgehend von Henry Saint-Somins Forderung nach einem wissenschaftlich organisierten sozialistischen System, dem Positivismus und säkularen Humanismus von Auguste Comte und den „Prinzipien des wissenschaftlichen Management (Principles of Scientific Management)“ von Frederick Taylor, entstand die technokratische Bewegung aus dem selben Dunstkreis von Progressivismus, Positivismus und sozialem Darwinismus, der auch die Eugenik hervorbrachte. So wie die Eugeniker glaubten , dass die menschliche Rasse durch „selektive Geburten“ „verbessert“, und von einer kleinen Gruppe von Forschern und deren Unterstützern kontrolliert und gesteuert werden kann; so glaubten auch die Technokraten, dass sie die sozialen und ökonomischen Bedingungen der Menschheit durch die Kontrolle und Steuerung der Gesellschaft „verbessern“ könnten. Und glücklicherweise für die finanzierenden Oligarchen, würden die Technokraten gleichzeitig die Welt nach vorne bringen, in dem man Geld durch Energiezertifikate ersetzt.

Angeführt vom exzentrischen, „revolutionären“ Ökonom und Soziologen Thorstein Veblen sammelten sich sowohl Ingenieure als auch seriöse Forscher um Veblens „New School for Social Research“ bzw. der „Technical Alliance“. Darunter eben auch der eingangs erwähnte King Hubbert und ein Buckminster Fuller oder Howard Scott.

Gerade Howard Scott ist hierbei als eine „sehr mysteriöse Figur“ zu bezeichnen. Nach Ende des 1. Weltkrieges kam dieser nach New York und arbeitete im Jahr 1920 als Forschungsdirektor für die Industrial Workers of the World. Eine 1905 in Chicago gegründete internationale Gewerkschaft. Im folgenden Jahr rief er die oben erwähnte „Technical Alliance“ ins Leben, eine Gruppe von Ingenieuren und Forschern an der Columbia University, die sich als Vorläufer der technokratischen Bewegung für eine Gesellschaft aussprach, die von Wissenschaftlern und Ingenieuren (an)geführt wird.

1932 konnte Scott eine Beziehung mit Walter Rautenstrauch aufbauen. Rautenstrauch war damals Professor an der Columbia University und der Gründer des Fachbereichs Wirtschaftsingenieurswesen. Das gemeinsame Interesse an der Technokratie machte die beiden zu Freunden und Verbündeten. Durch die Hilfe von Rautenstrauch gelang es Scott, den Präsidenten der Columbia University, Nicholas Murray Butler, eine Erlaubnis abzuringen, dass er (und seine Clique) die Räumlichkeiten der Universität nutzen durften. Butler, immer auf der Suche nach neuen Ideen bzgl. des Progressivismus, wurde alsbald stark von den technokratischen Ideen beeinflusst und gestattete es, dass Scotts „Committe on Technocracy“ seine Zelte in der uni-eigenen Hamilton Hall aufschlagen konnte.

Als Butler aus Versehen (?) erstmals die neue, große Idee öffentlich über die Lippen rutschte, die da in seiner Universität „erdacht“ wurde, wurde die Idee der Technokratie zu einer wahren Sensation. Sie wurde fast überschwänglich in der Presse gelobt, Scott wurde zu einem gefragtem Redner und es gab sogar eine Tanzveranstaltung, die nach der Bewegung benannt wurde.

Und genau auf jener Columbia University trafen sich erstmals Scott und King Hubbert und die beiden hatten sofort – trotz ihrer unterschiedlichen Wesensarten – einen Draht zueinander. Aber ihre Arbeit wurde jäh beendet als Scott als Betrüger entlarvt wurde. Jeder nahm bis dato an, dass Scott ein anerkannter und ausgebildeter Ingenieur war. Aber ein Journalist deckte auf, dass Scott keinerlei Abschluss irgendeiner Universität vorweisen konnte. Butler warf daraufhin das „Committee on Technocracy“ vom Uni-Gelände und brachte damit die Idee der Technokratie so schnell zu Fall wie sie zum Aufstieg gekommen war.

Für Scott logischerweise der absoluter Tiefschlag. Pleite und verschuldet hatte er nur noch eine Person an die er sich wenden konnte: M. King Hubbert.

Hubbert ließ Scott in seinem Apartment in Greenwich Village wohnen und bezahlte sogar aus eigener Tasche den Gründungsvorgang von Technocracy Inc., einer neuen Mitgliederorganisation, die die Prinzipien der Technokratie fortführen würde. Der erste Schritt dabei war, genauestens zu definieren, was die Prinzipien eigentlich waren.

Hubberts brachte daher die Technocracy Study Course, die Bibel der technokratischen Bewegung, zu Papier. In diesen legte Hubbert seine Vision „eines Überflusses an physischen Reichtum auf einer kontinentalen Skala für den Nutzen aller kontinentalen Bürger (an abundance of physical wealth on a Continental scale for the use of all Continental citizens)“ dar. Diese Vision, so warnte Hubbert, „kann nur durch eine kontinentale technologische Kontrolle, eine Governance der Funktion, eine Technate, erreicht werden (can only be accomplished by a Continental technological control, a governance of function, a Technate)“.

Das technokratische System sollte um ein „neues monetäres Paradigma“ aufgebaut werden. Basierend nicht auf dem US-Dollar, sondern auf „Energiezertifikate“, die den Netto-Energieverbrauch eines Landes repräsentieren. Diese Zertifikate würden auf „Joules“ denominiert sein und basierend auf einem Netto-Energiebudget ausgegeben werden, das von technokratischen, staatlichen Wissenschaftlern als angemessen erachtet wurde. Den Bürgern würde ein jeweils gleicher Anteil an den Zertifikaten ausgehändigt werden, mit denen sie dann ihre Einkäufe bezahlen könnten. Die „Kaufinformationen“ würden an die zentralen Planer für Analysezwecke zurückgespielt werden. Mittels dieser Methode könnten die Technokraten

eine thermodynamisch ausgewogene Belastung von Produktion und Verbrauch schaffen und dadurch Arbeitslosigkeit, Schulden und soziale Ungerechtigkeit beseitigen.

(create a thermodynamically balanced load of production and consumption, thereby doing away with unemployment, debt and social injustice.)

Im Technocracy Study Course beschrieb Hubbert – so wie es sich für einen guten Technokraten geziemt – die exakten Bedingungen, die benötigt werden, um die Vision realisieren zu können. Laut Hubbert benötigt Technokratie zur erfolgreichen Umsetzung:

  • eine Kalkulation und Erfassung des gesamten Energieverbauchs (privat und unternehmerisch) des gesamten Landes auf einer fortlaufenden und unmittelbaren Basis
  • eine Bestandsaufnahme (24/7/365) jedweder Produktion und jedweden Verbrauchs
  • eine Bilanz aller zum Verkauf stehenden Güter, den Ort der Produktion, den Energieverbrauch bei der Herstellung und wo bzw. wann die Güter verkauft wurden
  • eine personenbezogene Registrierung des Verbrauchs eines jeden Individuums, sowie eine Beschreibung der entsprechenden Person

Hubberts Vision war nicht nur die eines totalitären Systems, in dem jedes Detail jeder Interaktion aufgezeichnet, erfasst und an eine zentrale Instanz weitergeleitet wurde. Es war für die 1930er Jahre ein Konzept der andauernden und unmittelbar aktualisierten Registrierung eines jeden Wirtschaftsgutes, was zu jener Zeit nicht nur kühn, sondern auch grenzwertig war und auch noch heute ist.

Nichtsdestotrotz waren die US-Amerikaner – wohl auch aufgrund der Großen Depression – bereit sich jede Idee anzuhören, die das bestehende System, das so augenscheinlich gescheitert war, ersetzen könnte – egal wie verrückt es auch immer klang. Technocracy Inc. (und seine Ideen) war für sehr viele attraktiv und hatte im darauf folgenden Jahrzehnt nach seiner Gründung eine sehr große Anzahl an Unterstützern. Aber Scotts exzentrische Art und Weise – wie die Aufforderung vor ihm zu salutieren und seine weitschweifigen Radioansprachen – führten letztendlich zu einem langsamen, aber stetigen Zerfall seiner Bewegung.

Hubbert verwarf nie das Konzept der Technokratie. Aber als er bei Shell Oil als Forscher anheuerte, trat er von seinem Posten im Vorstand von Technocracy Inc. zurück und vermied jede direkte Erwähnung dieser Organisation.

Die Technokraten hatten die Umrisse einer völlig geordneten und kontrollierten Gesellschaft skizziert, in der Energie der Wertmaßstab ist und jeder Verbrauch und jede Produktion peinlichst genau von einer zentralen Behörde analysiert wird. Technocracy Inc. existiert bis heute – nur die Sprache, die Begrifflichkeiten und Vorgehensweise der Technokraten hat – ähnlich wie bei der Eugenik – eine Metamorphose durchlaufen. Und genauso wie die Eugenik ist der Begriff zu etwas Obskurem geworden, obwohl die Idee bis in unsere Tage weiterlebt – auch wenn einer der wichtigsten Verfechter vor kurzem verstarb: Zbigniew Brzezinski, der ab den 1960ern genau an jener Columbia University lehrte, und als eigentlicher Entdecker von Barack Obama gilt.

Quellen:
A Brief History of Technocracy
What Is A Technocracy?
What Hubbert Got Really Wrong About Oil
Hubbert’s Peak: The Impending World Oil Shortage
AIP M. King Hubbert – Session VII
Technocracy Rising: The Trojan Horse Of Global Transformation
Peak Oil
The Principles of Scientific Management
Technocracy Study Course
Wikipedia – Industrial Workers of the World
FROM TECHNOCRACY TO NET ENERGY ANALYSIS: ENGINEERS, ECONOMISTS AND RECURRING ENERGY THEORIES OF VALUE
Wikipedia – Zbigniew Brzezinski

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