Solidarität: Je suis un Gilet Jaune. Je suis francaise.Lesezeit: 5 Minuten
Als bereits wenige Stunden nach dem Anschlag am 7. Januar 2015 auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo die Welt mit schwarzen Plakaten überschwemmt wurde, auf denen die drei Worte Je suis Charlie (Ich bin Charlie) zu lesen war, die medial schneller aufgegriffen wurden als die Druckerpressen im Normalfall angeworfen werden können, fragten sich viele kritische Menschen wie außergewöhnlich schnell eine solche Propagandaaktion gestartet werden konnte. Innerhalb weniger Stunden war ein Logo kreiert, war die Hochleistungspresse auf diese Parole eingeschworen und in halb Paris trugen Menschen diese großflächigen Plakate vor sich her. Alles Dinge, die ohne eine ausgeklügelte Logistik und einer hinten anstehenden Organisation in der Kürze der Zeit eigentlich nicht realisierbar sind.
Jetzt da halb Frankreich wieder auf den Füßen ist und dabei symbolisch eine Gelbe Weste „hochhält“, um gegen die Politik des Investmentbankers Emmanuel Macron zu protestieren und sich Luft ob der allgemeinen Umverteilung von unten nach oben zu machen, schweigt sich unsere Hochleistungspresse mit Solidaritätsbekundungen einmal mehr aus. Diesmal sehen wir keine Zeitungsannoncen oder Bilder im Fernsehen mit dem Schriftzug Je suis un Gilet Jaune. Keine beleuchteten Häuserfassaden mit diesem Schriftzug. Keine Verbrüderung mit der französischen Volksseele.
Stattdessen beschwichtigende Worte und zunehmend der Versuch die Gelben Westen als Radikale, Gewalttäter und – natürlich – Neonazis zu diffamieren. Dass die Gewalt wohl zu einem großen Teil auf Agent Provocateurs zurückgehen dürfte, scheint in den Köpfen und in der Realität unserer Redaktionsstubenauffüller keine Option zu sein. Warum auch? Schließlich beiße ich nicht die Hand, die mich füttert.
Oder ist die Angst vor einer differenzierteren Berichterstattung inzwischen so groß, weil man weiß, dass auch in Deutschland nur noch der berühmte letzte Tropfen vonnöten ist, bevor es auch hier zu einer Bewegung wie die der Gilets Jaunes kommt? Leider ist es dem Deutschen nicht eigen, sich per Protest und Demonstration zu äußern. Leider zieht es der Deutsche vor, sich in sein stilles Kämmerlein zu verkriechen und gegen jeden und alles zu schimpfen anstatt seinen Protest friedlich (!!) auf die Straße zu tragen. Die jahrzehntelange Re-education hat hier wohl ganze Arbeit geleistet und die sowieso bereits niedrige Bereitschaft zur friedlichen (!!) Demonstration noch weiter geschwächt.
Politik und Hochleistungspresse haben es in einer perfiden Art und Weise geschafft, den Deutschen in den letzten Jahren eine Welt zu zeichnen, in der Deutschland immer noch wirtschaftlich stark ist. Ein Land, das anderen unterstützend zur Seite steht, weil wir ja doch so reich und ökonomisch gesund sind. Dabei genügt ein kurzer Blick auf die Vermögensverteilung der Haushalte in Europa, um dieses Märchen zu entlarven.
Wichtig ist dabei das Medianvermögen zu betrachten – also nicht das durchschnittliche Vermögen aller, sondern das Vermögen, das die einfachen Bürger ihr Eigen nennen; aka exklusive der Ausreißer nach oben und unten. Deutschland liegt hier im Jahre 2017 mit 47.091 € noch hinter Griechenland (54.665 €), Spanien (63.369 €), Frankreich (119.720 €) und Italien (124.636 €) – um nur ein paar der Staaten aufzuführen, die man in diesem Kontext wohl eher nicht auf dem Schirm hat. Interessant ist auch, dass im Jahre 2013 das Medianvermögen in Deutschland noch 51.400 € betrug und Frankreich einen Median von 115.800 € aufwies. Während also Frankreich, das Land in dem jetzt die Menschen massenhaft auf die Straße gehen, das Medianvermögen um knapp 4.00 € zunahm, verloren die Menschen in Deutschland im gleichen Zeitraum (2013 – 2017) ca. 4.000 €.
Daniel Stelter thematisiert genau jene Entwicklung in seinem aktuellen Buch Das Märchen vom reichen Land: Wie Politik uns ruiniert, in dem er aufzeigt, dass es uns bei weitem nicht so gut geht wie uns politisch und medial eingetrichtert wird. Bereits ein Blick auf unsere Infrastruktur, auf unsere Schulen, auf unsere Bahnhöfe und öffentlichen Gebäuden müsste eigentlich ausreichen, um den Mythos des reichen Deutschlands zu Fall zu bringen. Zwischenzeitlich hat eine Untersuchung der Unternehmensberatung EY festgestellt, dass wir in Deutschland einen Investitionsstau von 1,4 Billionen Euro vor uns herschieben. Dies entspricht dem Vierfachen des Bundeshaushaltes von 2018 (343,6 Milliarden €).
Doch wer profitiert letztlich davon, dass immer mehr Steuermilliarden sprudeln, dass der europaweit größte Niedriglohnsektor in Deutschland zu Hause ist, gleichzeitig soziale Einschnitte vorgenomnen werden, das Rentenalter immer weiter nach oben gesetzt wird und Investitionen nicht getätigt werden, die dringend nötig wären, um das Land weiter am Laufen zu halten? Eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten möchte…
Zusammengefasst ist die Lage in Deutschland auf keinen Fall besser als in Frankreich – tendenziell sogar schlechter. Und doch sehen wir keine Menschen auf den Straßen, die friedlich (!!) ihren Protest äußern. Sind wir zu dumm, zu bequem oder wurde uns schlichtweg das Protestgen „aberzogen“? Leider liegt es im Charakterwesen der Deutschen zu lange stillschweigend etwas hinzunehmen, bevor es dann zu Unmutsbekundungen kommt. Doch meist sind diese Unmutsbekundungen dann aufgrund des Drucks im internen System in Deutschland mit Gewalt verbunden. Eine Tatsache, die wir unbedingt durchbrechen müssen. Deswegen sage ich in friedlicher (!!) Solidarität mit allen Menschen in Europa:
Je suis un Gilet Jaune. Je suis francaise.
Sie auch?
Quellen:
Wikipedia – Je suis Charlie
Wikipedia – Liste der Länder nach Vermögen pro Kopf
Deutsche belegen beim Vermögen den letzten Platz
Daniel Stelter: Das Märchen vom reichen Land – Wie die Politik uns ruiniert
Investitionsstau bei kommunaler Infrastruktur
Das 1,4-Billionen-Loch gefährdet Deutschlands Erfolg
Der Bundeshaushalt 2018
Ein Artikel bildet zwangsweise die Meinung eines Einzelnen ab. In Zeiten der Propaganda und Gegenpropaganda ist es daher umso wichtiger sich mit allen Informationen kritisch auseinander zu setzen. Dies gilt auch für die hier aufbereiteten Artikel, die nach besten Wissen und Gewissen verfasst sind. Um die Nachvollziehbarkeit der Informationen zu gewährleisten, werden alle Quellen, die in den Artikeln verwendet werden, am Ende aufgeführt. Es ist jeder eingeladen diese zu besuchen und sich ein eigenes Bild mit anderen Schlussfolgerungen zu machen.
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