Der Council on Foreign Relations (CFR) ist eine der größten, wichtigsten und einflussreichsten Denkfabriken der Welt. Sein Einfluss nicht nur auf die Washingtoner Politik ist mannigfaltig – auch wenn dies einst unter dem Etikett „Verschwörungstheorie“ lief. Heute wird die Verschwörungstheorie, dass es ein solches Werkzeug wie den CFR gibt, medial eher ins Lächerliche gezogen, weil man seine Existenz und seinen Einfluss nicht mehr länger abstreiten kann.
Dabei ist der CFR tatsächlich nur ein weiterer Zweig einer viel älteren und weit unbekannteren Organisation: dem Royal Institute of International Affairs (RIIA). Die Idee für diese Gruppe kam bei einem informellen Treffen bei den Pariser Friedensgesprächen 1919 auf. Das RIIA wurde daraufhin im Folgejahr gegründet – zuerst als British Institute of International Affairs, das nur wenig später seine „königliche Unterstützung“ erhielt und ab dann unter dem bis heute geläufigen Namen des Royal Institute of International Affairs firmiert.
Für das RIIA wird gerne das Synonym Chatham House, dem Sitz des RIAA am St. James Square, London, verwendet. Es wird von der Vielzahl an Experten in der Außenpolitik als die einflussreichste Denkfabrik der Welt bezeichnet.
Seit seiner Gründung hat das RIIA zahlreiche „Zweigstellen“ eröffnet. Sei es in Ländern, die zum British Commonwealth gehören, aber auch in anderen Staaten der Welt. Eine der bekanntesten Ausgründungen des RIIA, die in den Folgejahren nach dem Jahr 1919 „das Licht der Welt erblickten“, zählen der CFR, das Australian Institute of International Affairs, das South African Institue of International Affairs, das Pakistan Institute of International Affairs und der Canadian International Council.
Offiziell ist das RIIA, wie auch seine Ableger, eine Denkfabrik ohne Gewinnabsichten und ohne Anbindung an eine Regierung. Eine Denkfabrik, die internationale Geschehnisse analysiert und Vorschläge zu Themenfeldern wie Energie, Umweltschutz und Ressourcen, internationale Ökonomie, internationale Sicherheit und internationale Rechtssprechung macht. Der Großteil der Veröffentlichungen und Konferenzen des RIIA und seiner Ableger sind frei zugänglich und sogar auf den eigenen Websites einsehbar bzw. im hauseigenen Magazin International Affairs nachlesbar. Mit einer kleinen Einschränkung: natürlich muss man registriertes Mitglied beim RIIA sein, um solche Glanzlichter wie World politics 100 years after the Paris perace conference lesen zu können.
Die Organisation wird von einer Vielzahl an Gönnern, Unterstützern und Geldgebern getragen. Dabei liest sich das ganze wie das Wer ist Wer der Korpokratie: Chevron, AIG, Bloomberg, Toshiba, Morgan Stanley, Goldman Sachs, Lockheed Martin, Royal Dutch Shell, ExxonMobil und zahllose andere Unternehmen, Institutionen und Regierungen. In Chatham House geben sich die angesehensten Redner zu einer Vielzahl an Themen die Klinge in die Hand. Dabei werden nicht nur für den britischen Dunstkreis Reports, Berichte und Stellungnahmen verfasst, die die globale politische Agenda verändern, sondern auch für den Rest der entwickelten Welt.
Obwohl die Mehrheit seiner Aktivitäten öffentlich zugänglich sind, bleiben natürlich bestimmte Treffen privat und allein im Kreis seiner Mitglieder. Diese Regelungen werden gerne als die Chatham House Rules definiert:
Wenn eine Versammlung oder ein Teil davon im Rahmen der Chatham House Rule abgehalten wird, können die Teilnehmer die erhaltenen Informationen frei verwenden. Weder die Identität noch die Zugehörigkeit der Sprecher oder die eines anderen Teilnehmers dürfen offengelegt werden.
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(When a meeting, or part thereof, is held under the Chatham House Rule, participants are free to use the information received, but neither the identity nor the affiliation of the speaker(s), nor that of any other participant, may be revealed.)
Diese Regeln sollen die Diskussion zu bestimmten Themen erleichtern, denn theoretisch würden die involvierten Persönlichkeiten nicht so frei und offen über bestimmte Themen sprechen, wenn diese öffentlich werden würden. Einige der geheimnisvollsten und vom Mainstream ignorierten Konferenzen und Treffen, wie die Bilderberg-Konferenzen, machen sich diese Chatham House Rules zu eigen, was den Einfluss sicherlich nicht schmälern dürfte.
Interessant ist, dass das Magazin International Affairs unter dem Banner der Oxford Universitiy publiziert wird, was auf die Wurzeln dieser Denkfabrik verweist. Kurz nach dem 1. Weltkrieg gründeten die gleichen Personen, die auf englischer Seite die Verantwortung dafür trugen, das RIIA. Diese Gruppe ging dabei auf Cecil Rhodes und das Jahr 1891 zurück.
Rhodes Gemeinschaft, die der Autor G. Edward Griffin als „The Quigley Formula“ bezeichnet, war so geschaffen, dass eine kleine Gruppe aus Personen eine größere Organisation aufbaut, die mit willfährigen Menschen besetzt ist, denen aber die eigentlichen Ziele der Gemeinschaft nicht bekannt gemacht werden. Dadurch können Hunderte, wenn nicht gar Tausende, in eine bestimmte Richtung gelenkt werden, ohne dass diese diese Lenkung bemerken. Caroll Quigley hat insbesondere mit seinem Werk The Anglo-American Establishment der Öffentlichkeit gezeigt, dass diese Gruppierung existiert und dass Alfred Milner, Lord Esher, Lionel Curtis oder Lord Lothian Mitglieder derselben Gruppe waren.
Zu Beginn war die Gruppe als „Austauschraum für das Anglo-Amerikanische Establishment“ gedacht, um dort zu debattieren, Entscheidungen zu treffen und ihre Agenda voranzutreiben, die dann ausgewählten, einflussreichen Politikern übermittelt wurde. Bereits bei der Gründung war diese elitäre Grundhaltung und dieses Gedankengut die treibende Kraft wie Jim Macgregor und Gerry Docherty in ihrem Buch Prolonging the Agony: How the Anglo-American Establishment Deliberately Extended WWI schreiben:
Sie [die Mitglieder der geheimen Gesellschaft von Rhodes] nahmen die erfolgreiche Round Table Group in das Institute of International Affairs auf. Verpackt in Worten, die bei ihrer Entschlüsselung besagen, dass sie zusammenarbeiten, um die zukünftige Richtung in der sich schnell veränderten Welt festzulegen, plädierte Lionel Curtis dafür, dass „die nationale Politik durch eine Konzeption der Interessen der gesamten Gesellschaft geprägt sein sollte“. Damit meinte er die Interessen des angloamerikanischen Establishments. Er sprach über die Übereinkunft, die in Paris aufgrund der öffentlichen Meinung in verschiedenen Ländern geschlossen worden waren, und betonte die Notwendigkeit, zwischen „richtiger“ und „falscher“ öffentlicher Meinung zu unterscheiden. Mit beunruhigender Gewissheit kündigte er an, dass „die richtige öffentliche Meinung hauptsächlich von einer kleinen Anzahl von Menschen produziert wurde, die in wirklichem Kontakt mit den Fakten standen und die damit verbundenen Fragen durchdacht hatten“. Er sprach von der Notwendigkeit, „eine öffentliche Meinung in den verschiedenen Ländern der Welt zu kultivieren“, und schlug die Schaffung einer „streng limitierten“ Denkfabrik auf hoher Ebene vor, die sich aus gleichgesinnten „Experten“ der britischen und amerikanischen Delegation zusammensetzte. Ein Auswahlkomitee, das vollständig von Geheimagenten bestimmt wurde, wurde organisiert, um „eine große Masse inkompetenter Mitglieder“ zu vermeiden. Was für eine Quintessenz der britischen Herrscherklasse. Eine neue angloamerikanische Elite der anerkannten Mitgliedschaft hatte sich selbst ausgewählt.
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(They [the members of Rhodes‘ secret society] took the successful Round Table Group and remodeled it into The Institute of International Affairs. Smothered in words which when decoded meant that they would work together to determine the future direction of a fast-changing world, Lionel Curtis advocated that „National Policy ought to be shaped by a conception of the interests of society at large.“ By that he meant the interests of the Anglo-American Establishment. He talked of the settlements which had been made in Paris as a result of public opinion in various countries, and spelled out the need to differentiate between „right“ and „wrong“ public opinion. With chilling certainty, he announced that „Right public opinion was mainly produced by a small number of people in real contact with the facts who had thought out the issues involved.“ He talked of the need to „to cultivate a public opinion in the various countries of the world“ and proposed the creation of a „strictly limited“ high-level think-tank comprising the like-minded „experts“ from the British and American Delegations. A committee of selection, dominated entirely by Secret Elite agents was organised to avoid „a great mass of incompetent members.“ What quintessential British ruling-class thinking. A new Anglo-American Elite of approved membership was self-selected.)
In den vergangenen Jahren zeichnete sich das RIIA, der sichtbarste Teil und das Propagandaorgan der geheimen Gesellschaft, für eine Vielzahl an Artikeln und Reportagen verantwortlich, die z.B. „erklärten“, warum Gold keine brauchbare Alternative zum aktuellen internationalen monetären System sei, warum es 2009 bei den Wahlen im Iran zu „Unregelmäßigkeiten“ kam, warum eine „Aufrüstung im Cyperspace“ dringend erforderlich ist, und weitere, beeinflussende Dokumente, Publikationen oder Präsentationen und Konferenzen.
Was wohl am Ende für die meisten interessant ist, die sich mit diesen Gruppen beschäftigen, um die Frage, wie Macht in einer Gesellschaft funktioniert, zu analysieren, sind nicht notwendigerweise die geheimen Ursprünge dieser Gruppen wie dem RIIA, oder wie diese über die Jahrzehnte im Geheimen die britische Außenpolitik manipuliert, geformt, kontrolliert und gestaltet haben oder wie das RIIA durch die verschiedenen Tochterorganisationen einen so großen Einfluss auf die Weltpolitik ausüben konnte. Vielmehr ist das faszinierende am Chatham House, dass es so in der Öffentlichkeit agieren kann, wie wir es heute erleben.
Viele der Treffen und Publikationen sind öffentlich zugänglich. Die Partner und Mitglieder des RIIA sind auf der eigenen Website einsehbar. Das hauseigene Magazin wird öffentlich ausgegeben und steht der Öffentlichkeit zur Verfügung. Und sogar die Geschichte des RIIA und sein Ursprung kann seit einem halben Jahrhundert von jedem eingesehen werden. Doch trotz all dem wird das RIIA in unserer Hochleistungspresse nicht als wichtiges Machtzentrum im 21. Jahrhundert erkannt bzw. dargestellt.
Vielleicht liegt genau darin der größte Erfolg des RIIA: den enormen Einfluss, den das RIAA hat, und seine steuernden Maßnahmen auf die Geopolitik zu verschleiern – nicht indem man einen Mantel der Geheimniskrämerei (wie bei den Bilderbergern oder bei Skull & Bones) darüber legt, sondern dass man selbst das Licht der Öffentlichkeit sucht, so dass das RIIA als alltäglich wahrgenommen wird. Ein Vorgehen, dass genau der von Rhodes entwickelten Vision entspricht, wie eine solche Organisation zu funktionieren hat. Die Existenz und der Einfluss der Rhodeschen Idee, manifest geworden im Chatham House, dem CFR und anderen Denkfabriken, scheint das perfekte Beispiel dafür zu sein, wie man die größten Geheimnisse vor aller Augen verbergen kann.
Quellen:
The Truth About the Royal Institute of International Affairs
Website – Chatham House
Website – Council on Foreign Relations
Website – Australian Institute of International Affairs
Website – South African Institute of International Affairs
Website – Pakistan Institute of International Affairs
Website – Canadian International Council
Introduction: world politics 100 years after the Paris peace conference
Episode 350 – History Is Written By The Winners
Chatham House – Current Corporate Members
Chatham House Rule
The WWI Conspiracy
The Quigley Formula – G. Edward Griffin lecture
The Anglo-American Establishment
Wikipedia – William T. Stead
Rhodes-Milner Secret Societies
Chatham House – History
Prolonging the Agony – How the Anglo-American Establishment Deliberately Extended WWI
Gold and the International Monetary System
Preliminary Analysis of the Voting Figures in Iran’s 2009 Presidential Election
Arming the information highway patrol