EU-Urheberrecht: Willkommen in der Selbstzensur!Lesezeit: 4 Minuten
Mit einer Mehrheit von 348 zu 264 Stimmen hat das Europäische Parlament für die Annahme der mehr als umstrittenen Urheberrechtsreform gestimmt. Damit haben sich diese 348 Politiker de facto für eine Vollzensur des Internets ausgesprochen. Zwar müssen die Mitgliedsstaaten diese Einigung noch pro forma bestätigen, aber gerade in Deutschland dürfte dies ohne Probleme vonstatten gehen und auch keine zwei Jahre (Frist zur Umsetzung) dauern.
Inhalt dieser „Reform“ ist, dass jede Plattform für die vom Nutzer hochgeladenen Inhalte (was auch die Kommentare beinhaltet) haftbar ist, wenn der Betreiber keine entsprechende Lizenz erworben hat. Letztlich müsste jeder Betreiber (Forum, Blog, usw.) entweder maschinell (Uploadfilter) oder manuell überprüfen, ob die hochgeladenen Inhalte gegen das Urheberrecht verstoßen, will er sich nicht strafbar machen.
Solche automatischen Uploadfilter werden sich jedoch nur die großen Konzerne wie Facebook, Twitter und Co. leisten können. Ein kleiner Blogger wird dagegen die Kommentarfunktion streichen, um sich dieser Gefahr zu entziehen. Auch ein Umzug des Angebotes in ein nichteuropäisches Land hilft nicht weiter, da nicht der Sitz des Hostings, sondern der juristische Standort des Betreibers entscheidend ist. Zwar gibt es diverse Anbieter, die eine Impressumsverpflichtung nach deutschem Recht für Angebote im Nicht-EU-Ausland umgehen, aber diese bislang vorhandenen Möglichkeit, die ich gerne als Rechtsunsicherheit bezeichnen möchte, wird die mit der „Reform“ einhergehende, vorauseilende Selbstzensur vieler Blogger auf Dauer aufrecht erhalten, weil sie eben als Betreiber für die Inhalte der Nutzer immer haftbar sind.
Mit dieser „Reform“ wird die von mir bereits 2014 im Artikel Zensur im Internet: Wie lange gibt es das bestehende “freie Internet” noch? geäußerte Warnung
In meinen Augen wahrscheinlicher ist es, dass diese konzertierte Aktion ein bewusst organisierter Schachzug ist, um das Thema Kontrolle und Zensur wieder durch die Hintertüre aka Filtersysteme auf die Agenda zu bringen.
zur staatlich verhängten Realität.
Abspeisungen, wie dass sich diese „Reform“ doch nicht auf „Hyperlinks, einzelne Wörter oder sehr kurze Textauszüge“ beziehe, scheinen sich ob des jahrelangen Streits zwischen Verleger und Google über genau diese Thematik selbst zu widerlegen. Denn solange das nicht abschließend geklärt ist, ist der Betreiber gezwungen genau dies zu unterbinden bzw. kann selbst keine „Hyperlinks, einzelne Wörter oder sehr kurze Textauszüge“ mehr verwenden.
Golem zitiert in einem Artikel die Verbraucherzentrale des Bundesverbandes mit den Worten:
Nach Ansicht des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) hat das Europaparlament „mehrheitlich gegen die Interessen von Nutzerinnen und Nutzern gestimmt“. Damit bedrohten verpflichtende Uploadfilter auch viele vollkommen legale nutzergenerierte Inhalte. „Denn sie können nicht wirkungsvoll zwischen erlaubter und nicht erlaubter Nutzung unterscheiden. Filter wissen nicht, was Parodien sind oder ob ein Inhalt zitiert wurde“, sagte VZBV-Vorstand Klaus Müller. Besonders bitter sei, „dass keine konkreten und wirksamen Gegenmaßnahmen eingeführt wurden, um rechtmäßige Inhalte vor entsprechender Blockierung zu schützen. Vollkommen legale Inhalte können so mit Verweis auf die Nutzungsbedingungen der Plattform leicht verschwinden“.
Letztlich bestätigt der VZBV eine Zensur durch ddie Hintertür in Form der Selbstzensur. Die Frage, ob mit dieser „Reform“ systemkritische Stimmen und Informationen aus dem öffentlichen Raum entfernt werden sollen, mag sich jeder Leser selbst beantworten. Aber gerade fehlende Informationen ermöglichen das Umschreiben von Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit. George Orwell und seine Romanfigur Winston Smith aus seinen dystopischen Roman 1984 sind zur Veranschaulichung dieses Gedankengangs (Stichwort Kontrolle der Vergangenheit) empfohlen:
Ein elementares Konzept der Partei zur Kontrolle der Gedanken ist die Kontrolle der Vergangenheit. Deshalb wird im Ministerium für Wahrheit ein gigantischer Aufwand betrieben, alle existierenden Dokumente der gegenwärtigen Parteilinie anzupassen. Von der Partei oder dem Großen Bruder geäußerte Voraussagen z. B. zur Güterproduktion oder dem Kriegsverlauf werden an die tatsächlich eingetretenen Fakten angepasst, damit „die Partei immer recht hat“. Niemand soll in der Lage sein, mittels historischer Dokumente Aussagen der Partei zu widerlegen. Auch Berichte, die sich auf positive Art und Weise über Personen äußern, die inzwischen durch „Verschwindenlassen“ oder „Vaporisieren“ („verdampfen“) zu „Unpersonen“ geworden sind, werden umgeschrieben. Außerdem wird durch die fortlaufende Änderung von Berichten über die Kriegslage der Bevölkerung stets der Eindruck vermittelt, dass der Staat schon immer mit dem jeweiligen Gegner verfeindet war, so dass der häufige Wechsel der Kriegsgegner aus dem Bewusstsein schwindet. Um dies zu ermöglichen, wird die Parteizeitung, die Times, regelmäßig bis in alle historischen Ausgaben laufend angepasst und alte Ausgaben unter Beibehaltung des Datums neu gedruckt. Die nicht mehr in die Parteilinie passenden alten Exemplare werden aus den Archiven genommen und vernichtet.
Die Daumenschrauben werden einmal mehr angezogen. Systemkritik wird mittels Uploadfilter und einer dann stattfindenden Selbstzensur verunmöglicht. Und ich bin mir sicher, dass es keine zwei Jahre dauern wird, bis diese „Reform“ in Deutschland zu 120% umgesetzt worden ist.
Quellen:
Zensur im Internet: Wie lange gibt es das bestehende “freie Internet” noch?
EU-Parlament stimmt für Urheberrechtsreform
Urheberrechtsreform: EU-Parlament winkt Upload-Filter und Leistungsschutzrecht durch
Europa erhält Leistungsschutzrecht und Uploadfilter
Wikipedia – 1984 (Roman) – Kontrolle der Vergangenheit
Ein Artikel bildet zwangsweise die Meinung eines Einzelnen ab. In Zeiten der Propaganda und Gegenpropaganda ist es daher umso wichtiger sich mit allen Informationen kritisch auseinander zu setzen. Dies gilt auch für die hier aufbereiteten Artikel, die nach besten Wissen und Gewissen verfasst sind. Um die Nachvollziehbarkeit der Informationen zu gewährleisten, werden alle Quellen, die in den Artikeln verwendet werden, am Ende aufgeführt. Es ist jeder eingeladen diese zu besuchen und sich ein eigenes Bild mit anderen Schlussfolgerungen zu machen.
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