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Ukraine: Diplomatie oder Krieg?Lesezeit: 4 Minuten

Die berichtete Einnahme des Flughafens der Stadt Donezk durch Separatisten im Osten der Ukraine könnte im wahrsten Sinne des Wortes „das Spiel in diesem Konflikt entscheiden“. Der Flughafen als solches ist nicht von strategischer Bedeutung, aber sein Verlust zeugt davon, dass die separatistische Seite derzeit die militärische Oberhand besitzt und dass sie letztendlich die Moral der ukrainischen Streitkräfte und die Glaubwürdigkeit der prowestlichen Regierung in Kiew untergräbt.

Natürlich werden die jeweiligen Beteiligten diese Entwicklung unterschiedlich beurteilen und werten. Der Kern des Ganzen wird sich dann im Westen um eine bislang unbewiesene Ausdehnung der russischen Beteiligung drehen. Doch wenn dem so ist, was könnten die Absichten Russlands sein? Sicherlich werden die Außenminister der Europäischen Union, die am Montag zusammenkommen sollen, diese Absichten, wie auch die Beziehungen zu Russland, diskutieren.

Die EU ist gespalten, was den Umgang mit Russland betrifft, und es gibt Meinungen, dass die jüngste Offensive im Osten der Ukraine eine Taktik Moskaus sein könnte, um Druck auf die EU – insbesondere auf Deutschland – aufzubauen, dass die Sanktionen rückgängig gemacht werden. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte am Donnerstag vor dem Europäischen Parlament, dass die EU diskutieren muss, wie „wir Optionen und Instrumente zur Wiederherstellung der Zusammenarbeit mit Russland in Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der Justiz erarbeiten wollen.“

Europäisches Parlament und Ukraine - Bildquelle: www.konjunktion.info

Europäisches Parlament und Ukraine – Bildquelle: www.konjunktion.info

Aus diplomatischer und politischer Sicht liegt der Spielball, was die Entwicklungen im Osten der Ukraine betrifft, im Feld der EU. Ganz sicher fehlt Kiew die militärische Schlagkraft, um die verlorenen Gebiete im Osten der Ukraine wieder zu erlangen, und die Regierungstruppen hätten sogar Schwierigkeiten die aktuelle Frontlinie gegen eine totale Rebellenoffensive zu halten, wenn eine solche beginnen sollte. Andererseits haben die Rebellen ihre militärischen Fähigkeiten – dank der Waffenstillstandspause – in den letzten Monaten verstärken können.

Wenn die Rebellen eine Offensive (die bereits jetzt als wahrscheinlich erscheint) vorantreiben, könnte das einen tödlichen Schlag für die Regierung in Kiew bedeuten und könnte sogar die Ukraine destabilisieren. Offensichtlich befindet sich die EU zwischen den Stühlen. Eine Möglichkeit wäre es die Sanktionen gegen Russland zu lockern und Moskau dazu zu bringen, dass Russland die Rebellen an den Verhandlungstisch zwingt. Aber dazu müsste sich Deutschland (eigentlich die USA) zu einem Anruf im Kreml „herablassen“.

Die Alternative wären weitere Sanktionen gegen Russland zu beschliessen und einen noch konfrontativeren Weg einzuschlagen. Aber das wäre gleichbedeutend mit einer zunehmenden Gefahr eines Kriegsausbruchs in Europa. Denn Moskau hat ohne jeden Zweifel gezeigt, dass Sanktionen Russland nicht dazu zwingen kann seine lebenswichtigen nationalen Interessen auf’s Spiel zu setzen.

Analysiert man weiter, sieht man, dass Russland die aktuelle politisch-militärische Pattsituation inakzeptabel findet – was die wirtschaftliche Bedeutung der separatistisch gesteuerten Enklave Donbas für Russland und insbesondere für Kiew betrifft, während der Westen schrittweise das Verschieben der ukrainischen Interessen fördert, keine eindeutigen Anzeichen in der nahen Zukunft für eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland zeigt und zur gleichen Zeit die USA das Alibi von „einer zunehmend selbstbewussten russischen Führung“ benutzt, um militärische Einsätze bzw. einen Truppenaufbau in Osteuropa und den baltischen Staaten zu fordern, die dann näher an der russischen Grenzen stattfinden werden als zu irgendeinem Zeitpunkt in der Zeit nach dem Kalten Krieg.

Alles in allem entfaltet sich gerade ein unglaublich komplexes Schauspiel der Zwangsdiplomatie. Ein „eingefrorener Konflikt“ in der Ukraine liegt nicht im Interesse Russlands und Moskau fordert zu recht eine umfassende Lösung, um die Krise zu beenden. Und das ist die eigentliche Quintessenz. In der Zwischenzeit hofft Moskau darauf, dass die vernünftigeren Stimmen innerhalb der EU, die die Sanktionen erleichtern wollen, sich durchsetzen können und alle Seiten an den Verhandlungstisch bringen. Sollte der Westen nicht ohne Vorbedingungen die Sanktionen beenden, würde Russland keine andere Wahl bleiben als „Politik mit anderen Mitteln“ zu betreiben.

Offensichtlich antizipiert Moskau bereits die Entwicklungen im Osten der Ukraine. So hat Präsident Wladimir Putin am Freitag eine Sitzung des mächtigen Sicherheitsrat in Moskau mit dem Schwerpunkt auf die neuesten Entwicklungen im Osten der Ukraine einberufen, wo er erneut deutlich machte, dass ein Treffen Frankreichs, Deutschlands, Russlands und der Ukraine höchst wünschenswert sei. Moskau hofft darauf, dass der Westen jetzt eher zu Verhandlungen neigt, da die separatistische Seite erneut gezeigt hat, dass sie die Oberhand im Kampf gegen Kiew hat.

Wir können nur hoffen, dass die Diplomatie noch eine Chance hat…

Quellen:
Rebels Claim to Have Control of Ukraine Airport
Russia could soon run multiple Ukraine-sized operations: U.S. general
Meeting with permanent members of the Security Council
Ukraine: Coercive diplomacy surges


An dieser Stelle sei nochmals auf die neue Rubrik Adjunktion – Gemeinsam hinterfragen hingewiesen.
Mein Hintergedanke zu dieser Rubrik ist der, dass ich gerne euch als Leser mehr in die Themen, die auf www.konjunktion.info behandelt werden, einbinden möchte. Dazu könnt ihr auf verschiedenen Wegen (Text, Bild, Audio, Video) Anregungen, Anmerkungen und Fragen zu bereits behandelten Themen oder komplett neuen Sachverhalten stellen. Diese werde ich dann entweder als Einzelartikel versuchen zu beantworten oder in Form einer Gemeinsamschaftsarbeit über die Kommentarfunktion des Artikels durch die Leser “erarbeiten” lassen – ganz nach dem klassischen Gedanken der Schwarmintelligenz.

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