NSA-Überwachung: Smarte Städte sind der nächste Schritt im Kontroll- und ÜberwachungsnetzLesezeit: 7 Minuten
Morgens. U-Bahn. Fast jeder starrt apathisch auf sein Smartphone, wischt geistesabwesend darauf herum, liest seine neuesten WhatsApp-Nachrichten und kommuniziert gleichzeitig mit zig „Freunden“ über diverse Plattformen. Die wenigsten dürften einen Gedanken daran verschwenden, was mit diesem Datenwust alles machbar, kontrollierbar und nachvollziehbar ist. Big Data ist Trumpf. Und Big Data bedeutet gleichzeitig Überwachung – in allen Lebenslagen.
Die Menschheit hat sich freiwillig in ein Kontrollnetz begeben von dem die Diktatoren und Tyrannen der Geschichte nur träumen konnten. (Fast) Jeder trägt heute seine ganz persönliche Wanze mit sich herum. Aus eigenem Antrieb, ohne Zutun staatlicher Stellen. Wir geben damit nicht nur Unternehmen und Geheimdiensten, sondern auch dem Staat die Möglichkeit das Verhalten der gesamten Bevölkerung zu überwachen, zu kontrollieren und vor allem vorherzusagen.
Science Fiction à la Minority Report?
Die meisten kennen inzwischen die Überwachungspraktiken von NSA und GCHQ, die man nur als totalitär bezeichnen kann. William Binney, Ex-NSAler und heutiger Whistleblower, sagt sogar, dass es das Ziel der anglo-amerikanischen Geheimdienste ist, Mittel und Wege zu besitzen, um damit die Bevölkerung zu kontrollieren. Und das neueste Mittel, der neueste Weg dabei, sollen „smarter cities (intelligentere Städte)„ sein.
Smarter Cities werden dabei als Städte definiert, die digital vernetzte Gebiete zusammenfassen, die mit allgegenwärtigen Sensoren, Zählern und Kameras ausgestattet sind und jeden Lebensaspekt in dieser Stadt aufzeichnen: angefangen beim Energieverbrauch bis hin zu Mustern beim Verkehr.
Heute lebt etwa die Hälfte der Menschheit in urbanen Gebieten. Milliarden Menschen wären also vom Konzept der intelligenteren Städte betroffen. Indien will beispielsweise 100 solcher Städte in den nächsten Jahren bauen und Singapur will die erste „smart nation (intelligente Nation)„ werden. Glasgow, Rio de Janeiro, New Orleans und Cape Town sind Teil von IBMs „smarter cities challenge (Herausforderung intelligentere Städte)„.
Aus Science-Fiction wird also Realität.
Doch wie würde in einer solchen intelligenteren Stadt das Thema Privatsphäre „gelebt“ werden?
Privatsphäre scheint vielen Menschen immer unwichtiger zu werden und nur noch wenige stemmen sich gegen die zunehmende Erosion der Privatsphäre in unserer modernen Welt. Eine intelligentere Stadt, vollgestopft mit Sensoren, Kameras und anderen Erfassungsgeräten, die 24 Stunden, 7 Tage die Woche und 365 Tage im Jahr jede Bewegung, jede Kommunikation aufzeichnet, sollte aber selbst dem Unbedarftensten Angstschweiß auf die Stirn treiben. Auch – oder gerade – weil viele der Unterstützer dieser Initiative multinationale Konzerne und undurchsichtige Stiftungen sind: IBM, Siemens, Cisco oder die Rockefeller Foundation. Zudem sollte man insbesondere die Rolle von IBM nicht vergessen, die das Unternehmen beim Holocaust und im Dritten Reich spielte.
Allegra Kirkland benennt in ihrem Artikel The Terrifying „Smart“ City of the Future (Die erschreckende „intelligente“ Stadt der Zukunft) einige der verstörenden Aspekte eines intelligenteren Planeten:
The surveillance implications of these sorts of mass data-generating civic projects are unnerving, to say the least. Urban designer and author Adam Greenfield wrote on his blog Speedbird that this centralized governing model is „disturbingly consonant with the exercise of authoritarianism.“ To further complicate matters, the vast majority of smart-city technology is designed by IT-systems giants like IBM and Siemens. In places like Songdo, which was the brainchild of Cisco Systems, corporate entities become responsible for designing and maintaining the basic functions of urban life… Private corporations are the ones measuring and controlling these mountains of data, and that they don’t have the same accountability to the public that government does.
(Die Überwachungsauswirkungen dieser Art von Massendaten erzeugenden öffentlichen Projekten sind, um es gelinde auszudrücken, irritierend. Stadtplaner und Autor Adam Greenfield schrieb in seinem Blog Speedbird, dass dieses zentralisierte Regierungsmodell „erschreckend im Einklang mit der Ausübung von Autoritarismus“ ist. Um die Sache noch komplizierter zu machen, wird die überwiegende Mehrheit der Smart-City-Technologie von IT-System-Giganten wie IBM und Siemens geschaffen. In Orten wie Songdo, das die Idee von Cisco Systems war, wurden Unternehmenseinheiten für die Entwicklung und Aufrechterhaltung der Grundfunktionen des städtischen Lebens verantwortlich… Private Unternehmen sind diejenigen, die die diese Berge von Daten messen und kontrollieren, und zudem haben sie nicht die gleiche Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit wie das die Regierung hat.)
Bereits vor längerem schrieb ich in dem Artikel Pre-Crime: Wenn aus Fiktion Wirklichkeit wird oder Willkommen im Polizeistaat darüber, dass in Nürnberg und München ein Projekt namens „Precobs“ durchgeführt wird. „Precobs“ ist dabei eine Software die Verbrechen „vorhersagen“ kann/soll. Natürlich dürfte auch in den intelligenteren Städten eine solche Software nicht fehlen. Die für das Erkennen von Verhaltensmustern notwendigen Daten dürften – wie eingangs geschrieben – nicht das Problem sein. So sagte bereits 2013 die Vorstandsvositzende von IBM Ginni Rometty, dass 90% der heute vorhandenen Daten allein in den letzten beiden Jahren generiert wurden.
Doch nicht nur Bayern versucht sich an einer „Vorhersage“-Software. Auch Australien setzt auf Big Data-Systeme, um Verhaltensmuster der eigenen Bevölkerung zu analysieren und Verbrechen vor deren Verübung vorhersagen zu können. Das Los Angeles Police Department (LAPD) besitzt sogar eine Einheit mit dem Namen Real-Time Analysis and Critical Response Division (RACR, Einheit für Echtzeitanalyse und Notfalldienste). Diese Abteilung setzt algorithmische Systeme ein, um zukünftige Verbrechen vorherzusagen.
Zukünftig bestimmen also Algorithmen über Wohl und Wehe, über Ethik und Moral. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass Geheimdienste, Konzerne und Polizei diese Chance nicht ungenutzt an sich vorbeiziehen lassen werden. Sie werden alle Big Data einsetzen, um in diesen intelligenteren Städten das Verhalten der Bevölkerung zu überwachen und vorherzusagen.
Aber nicht nur Big Data, dessen Datensätze sich aus den Bewegungsprofilen der Menschen speisen, wird genutzt werden. Bereits 2010 riefen Google und die CIA ein Unternehmen ins Leben: Recorded Future.
Recorded Future behauptete eine Technologie zu besitzen, die in der Lage wäre die Zukunft vorherzusagen. Diese „Glaskugel“-Software sollte dabei welweit die Daten aus dem Internet sammeln und Vorhersagen durch die Analyse der gesammelten Informationen ableiten. Jede Woche sollten dabei laut dem Vorsitzenden Christopher Ahlberg 8 Milliarden Datensätze von 600.000 Quellen gescannt werden.
Aber auch das Internet der Dinge trägt immmer mehr zum ausufernden Datenwust bei, so dass Unternehmen wie Recorded Future keine Ausnahme mehr bleiben werden, um den Wünschen der Geheimdienste, Konzerne und Staaten nach Informationen zu allem und jedem gerecht werden zu können. 2003 gab es ca. 500 Millionen internetfähige Geräte – 2010 waren es bereits 12,5 Milliarden. Und Cisco geht von 25 Milliarden Geräten für 2015 und sogar von 50 Milliarden für das Jahr 2020 aus.
Die Tatsache, dass quasi „das Internet in allen Dingen stecken“ wird und dass man davon ausgehen muss, dass bereits seit Jahren illegal Daten durch Konzerne und Dienste gespeichert werden, lässt eigentlich nur einen folgerichtigen Schluss zu: Könnte ein Internet der Dinge einen dystopischen Alptraum erschaffen, wo jeder und alles ständig überwacht und von der Regierung verfolgt wird?
Die Schöne Neue Welt ist schon lange da. Es stellt sich nur die Frage, welche Rolle wir darin spielen wollen… und wie die der Regierungen aussieht…
Quellen:
‘Smart Cities’ are the Next Phase in the 21st Century Surveillance Grid
NSA Controls Population Through Data Collection
World’s population increasingly urban with more than half living in urban areas
Cities of the future? Indian PM pushes plan for 100 ’smart cities‘
Singapore Plans To Become The World’s First Smart Nation
IBM’s Role in the Holocaust — What the New Documents Reveal
The Terrifying „Smart“ City of the Future
IBM InterConnect 2013: Ginni Rometty – A New Era of Smart
Pre-Crime: Wenn aus Fiktion Wirklichkeit wird oder Willkommen im Polizeistaat
Australian Federal Authorities Are Using Big Data To Predict Crime
Predicting crime, LAPD-style
CIA and Google invest in high-tech crystal ball technology
Inside the company that can predict the future by analyzing every piece of information on the web
The Internet Of Things: A Dystopian Nightmare Where Everyone And Everything Will Be Monitored On The Internet
Ein Artikel bildet zwangsweise die Meinung eines Einzelnen ab. In Zeiten der Propaganda und Gegenpropaganda ist es daher umso wichtiger sich mit allen Informationen kritisch auseinander zu setzen. Dies gilt auch für die hier aufbereiteten Artikel, die nach besten Wissen und Gewissen verfasst sind. Um die Nachvollziehbarkeit der Informationen zu gewährleisten, werden alle Quellen, die in den Artikeln verwendet werden, am Ende aufgeführt. Es ist jeder eingeladen diese zu besuchen und sich ein eigenes Bild mit anderen Schlussfolgerungen zu machen.
6 Antworten
[…] NSA-Überwachung: Smarte Städte sind der nächste Schritt im Kontroll- und Überwachungsnetz […]