Sergei Skripal: Von vergifteten Doppelagenten und der Abstinenz von BeweisenLesezeit: 8 Minuten
Sergei Skripal, dessen vermeintlicher Tod die britische Premierministerin Theresa May veranlasste, einen „Krieg der Worte“ gegen Moskau einzuleiten, trägt durchaus das Potenzial in sich zu etwas „Größerem“ zu werden. Wie absurd aber die britischen Anschuldigungen gegenüber Russland sind, soll ein kleines Gedankenexperiment zeigen, in dem sich zwei Personen zu dem Vorfall unterhalten:
Person 1: Hast Du eigentlich gewusst, dass die USA eine streng geheime Biowaffe besitzen, die sie einsetzen, um politische Feinde zu ermorden? Bislang konnte das zwar niemand beweisen oder irgendwelche Muster dieser Biowaffen nachweisen, aber glaub mir, sie existiert und wird auch eingesetzt.
Person 2: Wie bitte? Geheime Biowaffen? Keinerlei Beweise? Ach, komm. Bleib mir bloß damit weg, du Verschwörungstheoretiker!
Person 1: Upps. Sagte ich die US-Regierung? Ich meinte natürlich die russische Regierung.
Person 2: Oh, du meinst, die russische Regierung? Na dann, klingt das durchaus glaubwürdig.
Was auf den ersten Blick amüsant erscheinen mag, wenn man dieses fiktive Gespräch unter Freunden betrachtet, ist die traurige Realität, wenn wir uns die Berichterstattung in der westlichen Hochleistungspresse und die Äußerungen unserer westlichen Politikerkaste anschauen: „Die Russen setzen ein streng geheimes Gift ein, dass existieren mag oder auch nicht. Aber wir sind viel zu beschäftigt, um irgendeinen Beweis für unsere Aussagen zu liefern. Vertraut uns einfach. Und übrigens: lasst uns eine der nuklearen Supermächte damit drohen – auch wenn wir keinerlei Beweise für irgend etwas haben.“
Wie nicht anders zu erwarten, sprang sofort die westliche Hochleistungspresse auf die Geschichte der britischen Regierung auf und setzte ihre „Russiagate“-Berichterstattung, ohne jedweden Beweis, der letzten Monate auch in diesem Kontext fort.
Die politischen Erfüllungsgehilfen der „Hintergrundmächte“, Macron, Merkel und Trump, stellten sich – wie nicht anders zu erwarten – sofort hinter May.
Gott sei dank gibt es – auch im Mainstream – noch die eine oder andere vernünftige Stimme, die auf die Absurdität der Anschuldigungen Londons eingeht, dass Russland „supergeheime Auftragskiller“ einsetzt, um Feinde zu vergiften. Auf eine Art vergiften, die so offensichtlich fabriziert ist, dass sie zwangsläufig nach Moskau führen muss. Nicht gerade überraschend wurde Jeremy Corbyn, Parteivorsitzende der Labour Party, als russischer Spion bezeichnet, weil dieser es wagte zu sagen, dass es eine gute Idee wäre, doch erstmal auf irgendwelche Beweise zu warten, bevor man einen Dritten Weltkrieg vom Zaun bricht.
Aber die wahre Intrige zu diesem Zeitpunkt, dreht sich um den sogenannten „ehemaligen russischen Agenten“ und das angeblich eingesetzte Gift selbst. Uns wird von der Hochleistungspresse gesagt, dass Skripal und seine Tochter mittels eines Stoffes namens „Novichok (russisch für Neuling)“ vergiftet wurden, das „das tödlichste, je produzierte Nervengift“ sei. Zumindest findet man diese Information auf der vertrauenswürdigsten Enzyklopädie schlechthin: Wikipedia. Diese Klasse der Nervengifte wurde ursprünglich innerhalb des Chemiewaffenprogramms (1970er und 1980er Jahre) in der Sowjetunion entwickelt. Aber die Details dazu sind sehr verschwommen. Denn das Wissen darüber beruht allein auf zwei Ex-Sowjetforschern, die behaupten Teil des Programms gewesen zu sein.
Die letzte Theorie, wie das Gift letztlich in Salisbury landen konnte, besagt, dass Skripals Tochter unwissentlich das Gift in ihrem Gepäck aus Moskau nach England gebracht hat. Beweise dazu? Fehlanzeige! Es wurden bislang keine solchen präsentiert. Wieder einmal heißt es nur: „Britische Ermittler arbeiten an dieser Theorie, dass das Toxin in einem Kleidungsstück oder in Kosmetika oder in einem Geschenk imprägniert war, das dann im Haus von Skripal in Salisbury geöffnet wurde.“ So der Telegraph, der dabei nicht identifizierte Quellen als Ursprung nennt.
Einmal mehr nicht identifizierte Quellen, die besagen, dass die Ermittler an einer solchen Theorie arbeiten. Wenn das nicht genug der Beweis ist und wer dann immer noch den ganzen Erklärungsansatz in Frage stellt, kann nur ein Putinversteher und Russlandfreund sein.
Aber diese angebliche „Verbringung“ des Giftes verschleiert eine weit wichtigere Frage: gibt es das Toxin Novichok wirklich? Dabei ist das keine triviale Frage. Sie wäre bis vor kurzem von den meisten Wissenschaftlern mit „wahrscheinlich nicht“ beantwortet worden.
Dieser Punkt wird von Craig Murray, dem ehemaligen britischen Botschafter in Usbekistan, angeführt, der die Komplizenschaft Großbritanniens bei Folterverhören und den daraus gewonnen „Ergebnissen“ bekannt machte. In einem faszinierenden Blogeintrag schreibt er über den Vorfall und den bislang ohne Beweise durchgeführten Einsatz von Novichok. Im Artikel The Novichok Story Is Indeed Another Iraqi WMD Scam (Die Novichok-Geschichte ist in der Tat ein weiterer irakischer WMD-Betrug) erklärt Murray den bemerkenswerten Fakt, dass sowohl Porton Down (Großbritanniens einziges Chemiewaffenlabor) und die Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (Organisation für das Verbot chemischer Waffen; OPCW) erhebliche Zweifel an der Existenz des Giftes Novichok hatten, die sie auch öffentlich gemacht haben. Murray weist darauf hin, dass der Chef des Forschungslabors in Porton Down 2016 zugab, dass
Keine unabhängige Bestätigung der Strukturen oder der Eigenschaften solcher Verbindungen [Novichok] veröffentlicht wurde.
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(No independent confirmation of the structures or the properties of such compounds [Novichoks] has been published.)
und dass das Scientific Advisory Board des OPCW im Jahre 21013 schlussfolgerte, dass
es nicht genügend Informationen hat, um die Existenz oder Eigenschaften von ‚Novichoks‘ zu kommentieren.
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(it has insufficient information to comment on the existence or properties of ‚Novichoks‘.)
Und doch sollen wir jetzt glauben, dass eben jenes Porton Down die Substanz eindeutig als Novichok identifiziert hat?
Aber damit enden die Ungereimtheiten nicht. Wir sollen auch glauben, dass diese Chemiker irgendwie in der Lage waren, den Ursprung dieses Giftes festzustellen, das sie niemals zuvor gesehen haben, und dass sie zudem festgestellt haben, dass es aus Russland kam. Das alles trotz der Tatsache, dass das Original-Novichok-Programm wohl in den Nukus Chemiewaffenlabors in Usbekistan geführt wurde. In seinem letzten Artikel Of A Type Developed By Liars (Von einer Art entwickelt von Lügnern) berichtet Murray darüber, dass eine Quelle in der britischen Regierung bestätigt hat,
dass die Wissenschaftler in Porton Down nicht in der Lage sind, das Nervengas als russischen Ursprung zu identifizieren, und [dass sie ] sich darüber geärgert haben, dass auf sie auf diese Weise Druck ausgeübt wurde, genau das zu tun.
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(that Porton Down scientists are not able to identify the nerve gas as being of Russian manufacture, and have been resentful of the pressure being placed on them to do so.)
In anderen Worten: irakische Massenvernichtungswaffen 2.0
Aber kann es wirklich sein, dass uns die Regierungen bei so etwas wichtigem derart ins Gesicht lügen? Eine Lüge, die eventuell als glasklarer Betrug und Arglist entlarvt werden wird? Eine Lüge, die zu einem großen Krieg und damit zum Verlust unzähliger Menschenleben führen könnte?
Leider ist das eine rhetorische Frage und wir kennen alle die Antwort darauf. Folgerichtig wird diese Gefahr nicht in unserer Hochleistungspresse thematisiert. Genauso wenig, wie dass das Einkaufzentrum, wo Skripal und seine Tochter gefunden wurden, nur wenige Kilometer von Porton Down entfernt liegt.
Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen: kurz nach dem Giftgasanschlag wurden dem Forschungslabor in Porton Down zusätzliche Gelder in Höhe von 48 Millionen Pfund (ca. 54,5 Millionen Euro) zugesichert. Da kommt einem unweigerlich das Bild von der Karotte und dem Esel in den Sinn…
Seit nunmehr vier Jahren werden wir von einer andauernden Anti-Russland-Propaganda überschwemmt. Und auch diese neue „Räuberpistole“ ist Teil dieses geopolitischen Ränkespiels zwischen der NATO und Russland, das mit dem vom Westen initiierten Putsch in der Ukraine seinen Ursprung nahm.
Leider verstehen nur sehr wenige, dass die Lage extrem gefährlich ist. So hat Russland erst vor kurzem eine neue Generation von Nuklearraketen und anderer Waffentechnologien vorgestellt. Viele sehen die Situation als schlimmer an als zu Zeiten der Kuba-Krise.
Aber um hier die Ängste nicht zu schüren: das alles wird wohl nicht zu einem Dritten Weltkrieg führen. Aber es ist ein weiterer Schritt zu einem umfassenderen Konflikt. Und so sehr mancher Trost darin finden wird, dass dies alles nur eine „Theateraufführung“ zwischen zwei Seiten ist, die von denselben Kräften des Tiefen Staates kontrolliert werden, müssen wir daran denken, dass alle Seiten von den gleichen Kräften schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg, im Kalten Krieg und jedem großen Konflikt finanziert und kontrolliert wurden. Und diese Kriege und Konflikte wurden ebenfalls alle bewusst und gezielt ausgelöst.
Übrigens hat das OPCW inzwischen ein Muster des angeblichen Giftstoffes Novichok erhalten. Die mediale Fortsetzung ist also gewährleistet…
Quellen:
From Poisoned Spies to WWIII
Russia-UK tensions risk escalating over ex-spy’s poisoning | Al Jazeera English
This timeline shows exactly how Sergei Skripal went from spying for Russia to the centre of an attempted assassination storm in Britain
Friends of poisoned Yulia Skripal fear she and her ex-spy father are already DEAD – and the British Government is covering the news up
The Skripal Case Follows an Old Soviet Script
Trump: „Looks Like Russians Were Behind Poisoning“
Merkel zum Fall Skripal – „Wir nehmen Befunde der britischen Regierung sehr ernst“
Unlikely that Vladimir Putin behind Skripal poisoning
Did Corbyn take his cues from Moscow on spy scandal? How Labour leader’s remarks bear a striking resemblance to those from Russian diplomats just hours earlier
Corbett Report Radio 220 – The Bastion of Truthiness
Chilling theory in Russian spy probe involving Sergei Skripal, his daughter Yulia and her suitcase
WikiSpooks – Craig Murray
The Novichok Story Is Indeed Another Iraqi WMD Scam
Of A Type Developed By Liars
Porton Down laboratory to get £48m boost after Skripal attack
Putin, before vote, unveils ‚invincible‘ nuclear weapons to counter West
Top Putin spokesman: US-Russia relations ‚maybe even worse‘ than height of Cold war
OPCW begins studying information about Novichok-type nerve agent
Ein Artikel bildet zwangsweise die Meinung eines Einzelnen ab. In Zeiten der Propaganda und Gegenpropaganda ist es daher umso wichtiger sich mit allen Informationen kritisch auseinander zu setzen. Dies gilt auch für die hier aufbereiteten Artikel, die nach besten Wissen und Gewissen verfasst sind. Um die Nachvollziehbarkeit der Informationen zu gewährleisten, werden alle Quellen, die in den Artikeln verwendet werden, am Ende aufgeführt. Es ist jeder eingeladen diese zu besuchen und sich ein eigenes Bild mit anderen Schlussfolgerungen zu machen.
9 Antworten
[…] gibt es keinerlei Beweise dafür, dass Russland für den Giftanschlag auf den MI6-Doppelagenten Sergei Skripal und seine Tochter verantwortlich ist. Und doch werden diejenigen, die sich kritisch dazu äußern – nicht nur […]